Wenn man erst mal 40 ist kann man sich seine Partner nicht mehr aussuchen.
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Tina
Ich habe eine neue Freundin, die erste seit der dritten Klasse. Zuerst wollte ich gar nicht, aber Mutter hat gesagt, ich sei jetzt fast 40 und das wäre eine gute Zeit für einen jungen Mann, sich eine Frau zu suchen und flügge zu werden. Eine Frau zu suchen, ist gar nicht so schwer, wie die meisten Leute glauben. Bei "parship" gibt es eine Rubrik "Hoffnungslose Fälle"; da findet eigentlich jeder was. "Doch warum ausgerechnet eine Diplom-Pädagogin mit Doppelnamen aus Baden-Württemberg?", fragte Mutter entgeistert.
Weil sie verdammt gut aussah. Etwas stämmiger, die blonden Haare zu einem Dutt zusammengebunden und mit einer schwarzen Hornbrille, die sie nur trug, um streng darüber hinwegzuschauen. Wer einmal nachts die Werbung für reife Frauen ab 40 gesehen hat, weiß in etwa, was ich meine.
Und wir kommen auf Anhieb gut miteinander aus. Sie heißt Frau Wagenknecht-Riefenstahl und unterrichtet Deutsch und Mathematik. Schon nach ein paar Wochen darf ich sie Tina nennen. Tina nimmt ihren Beruf sehr ernst. Nicht nur in der Schule, sondern auch zuhause. Mein Handy hat sie gleich einkassiert, weil ich es zuhause benutzt habe, und auch meinen iPod musste ich abgeben, obwohl der gar nicht an gewesen ist. Die Sachen kann meine Mutter aber am Ende der Beziehung von ihr abholen. Natürlich hat sie recht, das ist ja auch ihr Beruf und schließlich hat sie einen Erziehungsauftrag.
Ich lerne schnell, aufzustehen, wenn sie ins Zimmer kommt. Beim Frühstück sage ich außerdem "Guten Morgen, Frau Wagenknecht-Riefenstahl", weil sie das so gewohnt ist. Und ich weiß, dass das Frühstück erst zuende ist, wenn sie das sagt. Aber wir unterhalten uns gut, denn sie stellt mir die ganze Zeit Fragen. Auch wenn ich mich gar nicht melde, weil ich die Antwort nicht weiß, nimmt sie mich trotzdem dran. Obwohl mir dabei noch nie aus heiterem Himmel etwas eingefallen ist, was ich einfach nicht weiß, hakt sie immer zweimal nach, damit ich meine Unzulänglichkeit erkenne. Danach schreibt sie dann etwas in ihr kleines Büchlein, das vor ihr auf dem Tisch liegt.
Bei ihr weiß ich immer, woran ich bin, denn ich bekomme für alles Noten. In Allgemeinwissen habe zwar ich eine fünf, aber dafür auch eine zwei minus in Hauswirtschaft. Und in Betragen habe ich jetzt eine drei, weil ich nicht mehr so oft widerspreche. Nur in Sexualkunde bekomme ich eine sechs, aber in Theorie war ich noch nie besonders gut. Zum Glück ist das nur Nebenfach, weil sie findet, das Leben ist viel zu ernst, um Spaß zu haben und an Fortpflanzung ist sie auch nicht interessiert, weil sie Kinder hasst und sie nicht ausstehen kann.
Trotzdem gibt sie sich viel Mühe mit ihren Schülern und sitzt jeden Tag Stunden über ihren Arbeiten, um auch den letzten Fehler zu finden. Dabei verbraucht sie jede Woche einen Zehnerpack Rotstifte. Ihre Urteile sind immer vernichtend aber fair. Ich finde, "Versager" kann man ruhig mal sagen, wenn es nett gemeint ist. Und auch sonst ist sie ein freundliches und optimistisches Wesen. Wenn einer sagt, die Lage sei so aussichtslos, dass es unmöglich noch schlimmer werden könnte, bleibt sie optimistisch und sagt: "Das wollen wir doch mal sehen."
Überhaupt ist das "Wir" sehr wichtig für sie, denn sie sagt häufig Dinge wie: "Jetzt wollen wir aber mal die Tafel putzen." - und zeigt dabei auf den Esstisch.
Wenn wir was gemeinsam machen, gucken wir meist Fernsehen. Tina guckt am liebsten "Aktenzeichen XY", weil das Leid anderer Menschen sie so bewegt. Und einmal im Jahr fahren wir in den Urlaub, zum Wandern in den Harz, denn man will ja auch was von der Welt sehen. Und wenn wir dann gemeinsam auf dem Todesstreifen stehen, ist unsere Liebe fast grenzenlos.
Leider muss ich aber am nächsten Tag vorzeitig nach Hause fahren, weil Tina bei der Zimmerkontrolle eine Flasche Bier gefunden hat. Seitdem habe ich Hausarrest und meine Versetzung ins nächste Beziehungsjahr ist ernsthaft gefährdet. Aber ich habe meinen Fehler eingesehen und werde mich jetzt richtig anstrengen, um ihr Vertrauen zurückzugewinnen. Denn letztlich will sie doch nur das Beste.
Und trotzdem gibt es ein paar grausame Kinder, die Tina nicht mögen. Aber natürlich ist das dumm von ihnen. Denn man kann sich seine Lehrer halt nicht aussuchen und letztlich steht "Tina" ja auch nur für: "There is no alternative". Am besten sollten sie Tina also genauso lieben wie ich. Schließlich haben wir Lehrermangel und wenn man erst mal 40 ist, auch einen gewissen Frauenmangel.
Eine Version dieses Textes ist erschienen in
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:
- Torsten Wolff:
"Würde ist ein Konjunktiv"
beim
Blaulicht-Verlag
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