Eine böse Satire über die Verwendung von politisch korrekter Sprache.

Rechtschreiber


"Die Sprache ist die Quelle aller Missverständnisse" steht auf dem Plakat hinter der Bühne und davor steht eine Frau mit Hosenanzug. Sie heißt Kristina und ist von irgendeiner christlichen Partei. "Die Unterdrückung der Frau fängt bei der Sprache an.", sagt sie. "Warum sonst sagt man 'Mannschaft', 'Mandarine' oder 'E-Male'? Und warum sagt man überhaupt 'man sagt'?

Und warum muss Pippi Langstrumpfs Vater ein Negerkönig sein, wenn er doch genausogut ein Südseekönig sein könnte? Warum sagt man ungestraft 'weiße Weihnacht' und 'schwarzer Humor'? Wir müssen die Dinge endlich beim Namen nennen, sonst ist bald wieder der Ihr-wißt-schon-wer an der Macht." Das Publikum spendet frenetisch Beifall und im Hintergrund entrollt sich ein weiteres Plakat, auf dem steht: "Neusprech-Diskriminierungs-Abbau-Programm" - kurz NSDAP. Ich gehe kurz aufs "Herren"-Klo, um mich zu übergeben.

Als nächstes betritt ein Mann mit dunkler Hautfarbe die Bühne. Er wird vorgestellt als "Südseekönig" und fühlt sich sofort voll integriert. "Sehr geehrte Damen und Herren.", sagt er. "Liebe Neger". Das verbotene N-Wort ruft einen Sturm der Entrüstung hervor und er wird lauthals als Rassist beschimpft. Im Tumult drängt sich ein alter weißer Mann ans Mikrophon: "Alle Juden müssen vergast werden", ruft er hinein.

Das Wort „Jude“ läßt alle zusammen zucken, doch man ist sich schnell einig, dass die Aussage nicht zu beanstanden sei, weil sich die Juden ja schließlich selbst auch „Juden“ nennen. Sicherheitshalber wird aber eine Arbeitsgruppe gegründet, um das Problem auszudiskutieren. Ich gehe derweil zum Klo, um mich erneut zu übergeben.

Die Schlange vor dem Herrenklo ist viermal so lang wie die vor der Damentoilette. Jemand hat auf der Tür das Wort "Herren" durchgestrichen und "Menschen" darunter geschrieben. Weil das mit dem Durchstreichen nicht so gut geklappt hatte, konnte nun keiner mehr mit gutem Gewissen aufs Klo gehen.

Ich besuche stattdessen einen Info-Stand, wo Stapel mit gelben und roten Karten liegen. Auf den gelben Karten steht "Überreichen bei sexistischer Belästigung", die roten sind für "schwerwiegende Übergriffe". Ich finde die Idee süß, doch ich darf mir keine Karte nehmen, weil die nur für Frauen sind. Als ich mich beschwere, dass das sexistisch sei, bekomme ich prompt eine gelbe Karte - wegen Verharmlosung von Sexismus. Es folgt eine heftige Diskussion, an deren Ende ich den Stand mit fünf gelben und zwei roten Karten verlasse.

In einem Nebenraum tagt die Arbeitsgruppe "Wort". Als ich frage, wie es läuft, sagt einer: "Gut. Das Negerproblem haben wir gelöst und wir arbeiten jetzt an der Endlösung der Judenfrage". Ich mache mich wieder auf den Weg zum Klo.

Die Schlange dort ist mittlerweile verschwunden. Jemand hat ein "I" in das Wort "Herren" gemalt und das Wort "Liebe" dazu geschrieben. Nun steht da: "Herrein liebe Menschen" und daneben sind Blumen gemalt. "Also echt, das ist doch irgendwie schwul", beschwert sich einer und bekommt dafür eine gelbe Karte. Zu Recht, wie ich finde.

Die Arbeitsgruppe ist inzwischen zum Kern des Problems vorgedrungen: Man müsse einfach alle diskriminierenden Worte beseitigen - allen voran das Wort "Diskriminierung", denn ohne dieses gäbe es doch gar keine Diskriminierung.

Ich lasse das alles hinter mir, bis ich nur noch Stimmengewirr höre - irgendwo da unten musste Babel sein. Euren Euphemismus möchte ich haben, denke ich.


Im Juni 1949 erscheint das Buch "1984" von George Orwell. Es beschreibt, wie ein "Ministerium für Wahrheit" "Gedankenverbrechen" verfolgt und erschafft mit "Neusprech" eine Sprache, deren Wortschatz aus politischen Gründen reduziert wurde, um differenziertes Denken zu unterbinden.

In den 1960er Jahren preist ein Vertreter auf einer Buchmesse den Duden mit den Worten: "Schreibst du richtig, dann denkst du richtig" als neuen Bestseller an.

2009 streicht der Verlag Friedrich Oetinger das Wort "Neger" aus Astrid Lindgrens "Pippi Langstrumpf".

Im Mai 2012 bedenkt Ex-Wirtschaftsminister Brüderle seinen aus Vietnam stammenden Parteichef Rösler mit den Worten: "Glaubwürdigkeit gewinnt man, indem man nicht wie Bambusrohre hin und her schwingt, sondern steht wie eine Eiche". Er fügt hinzu: "Deswegen ist die Eiche hier heimisch und nicht das Bambusrohr." - Das finde ich schlimm, aber "Eiche" und "Bambus" stehen derzeit noch nicht auf dem Index der Sprachverbesserer.

Anfang 2013 verkündet der Thienemann Verlag, die Worte "Neger", "Türke" und "Chinesenmädchen" (und den Zusammenhang muss mir erst mal einer erklären) aus Otfried Preußlers "Die kleine Hexe" zu streichen. "Wir werden alle unsere Klassiker durchforsten", kündigt ein Thienemann-Verleger an, denn: "Nur so bleiben sie zeitlos."

2015 fährt Winnetou mit einem Landrover durch die Prärie und in "Onkel Toms Hütte" wurde kein einziger Neger versklavt, weil es nie einen gegeben hat.

Wenn wir unseren Kindern in Zukunft aus Büchern vorlesen, dann erklären wir ihnen: - nichts. Denn es gibt darin nichts, was wir ihnen erklären müssten...



Eine Version dieses Textes ist erschienen in*:
- Anthologie: "The Punchliner Nr.10" beim Verlag Andreas Reiffer
- Anthologie: "Viele Grüße aus dem schönsten Land der Welt" beim Blaulicht-Verlag

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