Eine komische Beschreibung des Lebens von Digital Natives und anderen Internetaktivisten.
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Piratenleben
Unbemerkt von der Öffentlichkeit kämpfen wir Internetpiraten für Gerechtigkeit und Freiheit im Internet. Für die Freiheit jedes einzelnen von Euch. Diese Arbeit ist nicht immer leicht und die meisten wissen nicht einmal, was wir da eigentlich tun an der Fenceline zwischen der Freiheit und dem Überwachungsstaat. Darum will ich einmal von einem typischen Arbeitstag eines Piraten berichten:
14:30 Uhr. Aufgewacht. Pizzareste im Bett gefunden. Gestern abend wohl beim Essen eingeschlafen. Als Frühstück aber auch nicht schlecht und die Tomatenflecken im Bett passen gut zu den Totenköpfen auf der Bettwäsche. Nach dem Essen Aschenbecher vom Regal geangelt. Fallen gelassen, weil immer noch zu müde. Asche und Kippen verteilen sich im Bett. Passen aber gut zu den Totenköpfen auf der Bettwäsche. Trotzdem aufgestanden, denn der Aschenbecher ist zwar wieder leer, die Kippen aber leider auch.
Bademantel angezogen und zum Thaiimbiss an der Ecke gegangen. Am Zigarettenautomaten zwanzig rote Gauloises und zwei Lord Extra aus dem DRM-Container befreit. Mit gehackter Bankkarte bezahlt. Sechs Kaffee-to-Go bestellt und gegen zwei Schachteln Lord Extra getauscht. Auf dem Heimweg Zeitung aus dem Briefkasten vom Nachbarn geklaut. Never pay for content. Kurz reingeschaut, dann totgelacht und weggeworfen. Nichts ist so alt wie die Zeitung von heute.
Stattdessen im Internet gesurft, um aktuelle Nachrichten zu lesen: Angela Merkel will Bau einer neuen Ost-West-Autobahn. Eine neue Autobahn. In Mitteldeutschland. Jetzt ist es also soweit – der Merkel-Faschismus hat seine Maske fallen gelassen. Habe ich ja schon immer gesagt. Ursula Goebbels und Wolfgang Himmler feuern ja schon lange aus allen Propagandarohren gegen die Freiheit des Internets.
Nachricht gleich getwittert und „Nazis, Nazis, Nazis“ ins Gästebuch der CDU-Homepage geschrieben. Wikipedia - Artikel über Angela Merkel mit neuen Informationen ergänzt. Zwei Minuten später festgestellt, dass Mr.Right73 den Artikel rückgängig gemacht hat. Artikel wieder hergestellt und den Idioten auf seiner Nutzerseite als faschistischer Blockwart gedisst. Außerdem mit Vandalismusmeldung gedroht, wenn er noch einmal versucht, Informationen zurückzuhalten.A propos Informationen zurückhalten: Spiegel online hat es auch noch nicht gebracht. Leben mal wieder völlig hinterm Mond. Emails an die Redaktion geschrieben. Per Mailbot. Eine Mail die Minute, wegen der Bedeutung für die Weltpolitik. Die werden bestimmt bald reagieren.
Zeit für etwas Entspannung. Auf Youtube ein lustiges Video gefunden, wo ein Mann mit Hühnerkostüm gegen einen Baum rennt. Zum Brüllen. Titel geändert zu „Polizeigewalt: Unter einem grünen Kleid steckt eben immer ein brauner Stamm“. Link gleich zu Netzpolitik.org geschickt. Die haben zwar keine Ahnung, aber posten darum auch jeden Scheiß. Zurück zu Wikipedia.
Mr-Neunmalklug hat den Artikel schon wieder geändert. Droht mir ebenfalls mit Vandalismusmeldung. Ich solle besser erst denken und dann schreiben. So ein Blödsinn. Woher soll ich wissen, was ich denke, bevor ich sehe, was ich schreibe? Vandalismusmeldung gegen Mr.Right wegen offensichtlicher Blödheit gemacht. Diktatur und Zensur ist ja so 40er.
Immer noch keine Meldung auf Spiegel Online. Anscheinend soll hier die Wahrheit unterdrückt werden. Mailfrequenz auf eine Mail die Sekunde erhöht. Muss die Dinge wohl selber in die Hand nehmen. Bei Google nach Sicherheitslecks von StudiVZ gesucht und zwei Dutzend gefunden. Masseneintrag auf der Pinwand bei allen StudiVZ-Nutzern gemacht: „Angela Merkel will Faschismus einführen. Wikipedia zensiert die Wahrheit. Und übrigens: dein StudiVZ-Account ist nicht sicher.“ Damit keiner böse ist, sicherheitshalber alle noch mal gegruschelt.
Bei Wikipedia ist mittlerweile die Hölle los und der Artikel von Angela Merkel ändert sich im Sekundentakt. Die Seite von Spiegel Online ist nicht erreichbar. Anscheinend haben sie eine Überlastung auf ihrem Mailserver. Na gut, dann schaue ich mal, was die Kollegen von der FAZ so schreiben. Aber, obwohl ich vorher einen ordentlichen Joint rauche, läßt sich diese Zeitung nicht ertragen.
Dafür bin ich jetzt müde und hungrig. Wird Zeit, was zu Essen zu bestellen. Vielleicht heute mal was Gesundes: Spinat-Pizza. Nee, besser nicht, wer mag schon grüne Totenköpfe im Bett? Bleibe bei Salami. Da bin ich konservativ. Beim Essen wird mir aber trotzdem schlecht, weil ich plötzlich an Guido denken muss. Der packt bestimmt schon seine Koffer, wenn die Merkel jetzt Fascho ist. Nicht alles, was die Nazis machen ist schlecht. - Merke, dass ich anfange, Unsinn zu denken, der Joint war wohl doch ein bißchen stark und die Pizza habe ich auch nur halb gegessen. Bin wohl gleich beim Essen eingeschlafen. Naja, morgen ist auch noch ein Tag.
Eine Version dieses Textes ist erschienen in
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- Torsten Wolff:
"Würde ist ein Konjunktiv"
beim
Blaulicht-Verlag
- Torsten Wolff:
"Slampoet"
(E-Book)
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