Satire um falsche Kunstgläubigkeit und den sogenannten Kunstsachverstand.
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Kunst ist Schokolade
Neulich war ich mit meiner Oma in der Kunsthalle. Eigentlich ist es gar nicht meine Oma, aber letztlich macht das ja auch keinen Unterschied und wo findet man sonst heute noch jemanden, der das Kunsthandwerk von der Pike auf gelernt hat?
Kunsthallenkunst versetzt mich immer wieder in fassungsloses Erstaunen. Vor mir an der Wand hängt ein riesiges Bild. Eigentlich sind es neun sehr große quadratische Bilder, die nebeneinander hängen und zusammen ein riesengroßes Quadrat ergeben. Die Teilbilder sind jeweils in einer anderen Farbe angemalt und das blaue Quadrat links oben ist etwas versetzt angebracht. Ich vermute, aus Absicht. Da Witze meist auf das Prinzip des Unerwarteten aufbauen, muss ich schallend lachen. "Psst", zischt da neben mir ein alter Mann und schaut mich böse an.
Ich überlege kurz, ob er wohl zum Kunstwerk dazu gehört, und ob ich das Bild dadurch besser finden würde. Aber vermutlich ist das etwas zu kompliziert gedacht.
"Ihr Bild?", frage ich ihn.
"Natürlich nicht", sagt der Mann, "Das ist ein echter Bökelmann."
"Ach?!", sage ich, "Kennen Sie den?"
Der Mann schaut mich so abfällig an, als ob ich das Bild gemalt hätte.
"Sieht ein bisschen aus wie 'Ritter Sport'", sage ich, um die Stimmung etwas aufzuheitern, "Gucken Sie mal, da unten ist Marzipan, dann Nougat, Haselnuss und Zartbitter. Und ganz oben links ist Vollmilch; Erstaunlich, dass ausgerechnet die zuerst weggenommen wird." Der Mann mustert mich, wie etwas, in das er gerade versehentlich hineingetreten ist: "Sie haben ja überhaupt keine Ahnung von Kunst."
"Hatte ich bislang auch gedacht, aber das Bild da hätte ich Ihnen auch malen können."
"Dazu haben Sie nicht mal ansatzweise das Zeug. Bökelmann dagegen ist ein anerkannter Künstler."
"Was genau macht denn Ihren Bökelmann zu einem anerkannten Künstler?"
"Gernot Bökelmann hat bereits Werke in Utrecht und in Kopenhagen ausgestellt und man sagt, dass selbst New York schon Interesse angemeldet hat."
"Und hat er daher das Zeug, neun einfarbige Bilder zu malen?", frage ich interessiert.
"Kunst kommt eben von Können."
"Stimmt, aber dazu muss man auch was können. Aber bei Ihnen glaube ich, kommt dagegen eher Gunst von Gönnen."
"Wo treibst du dich wieder rum, Junge?“, fragt Oma, die plötzlich neben uns steht. „Und was guckst du dir da für einen Quatsch an, wir wollten uns doch die Statuen von den nackten Kerlen angucken."
"Ja, gehen Sie endlich. Solche Leute wie sie sollten hier eigentlich gar nicht herkommen dürfen, aber das kommt davon, wenn jeder Banause einfach ein Ticket kaufen kann."
"Das kenne ich.", sagt Oma, "Früher hat man entartete Kunst auch einfach weggesperrt. Wenn man sie nicht gleich verbrannt hat."
"Sie wagen es allen Ernstes, ein Werk, das DAS Sinnbild für Freiheit und Leben darstellt, in einen Kontext mit dem Dritten Reich zu setzen?"
Oma tritt etwas näher, um das Bild genauer zu betrachten: "Freiheit? Das ist ganz eindeutig Schokolade oder Schach für Farbenblinde."
"Bei einem Kunstwerk kommt es nicht allein auf die handwerkliche Ausführung an, sondern auch darauf, dass sie überraschend ist und Gefühle hervorruft. Und einen am Ende zum Nachdenken anregt. Aber das kann man ja von Ihnen nicht erwarten."
"Na, dann passen Sie aber mal auf.",
sagt Oma und tritt ihm mit Macht zwischen die Beine, so dass er zu Boden geht.
Dann zieht sie ihren Stiefel wieder zurecht und betrachtet ihr Werk nachdenklich: "Die handwerkliche Ausführung ist in meinem Alter natürlich nicht mehr so gut. Aber ansonsten: Eindeutig Kunst, würde ich sagen.
Komm Junge, wir gehen. Die Kerle mit den Marmorklöten warten auf uns."
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