Alte Poetry-Slam-Hasen hatten andere Bedingungen als der heutige Nachwuchs-Slammer.

Der Slam frisst seine Kinder


Auf den ersten Blick scheint diese Aussage wenig Sinn zu machen, denn die wenigsten Slammer sind über 30 Jahre, die weitaus meisten sind deutlich jünger. Dennoch stelle ich mir die Frage, ob der Poetry Slam Nachwuchsprobleme hat.

Im April 2009 erschien auf Spiegel Online ein Artikel zum „Massenerfolg Poetry Slam“, der in Slammerkreisen zwar gelesen, aber nicht weiter beachtet wurde. Im Prinzip nicht verwunderlich, denn letztlich war es nur ein Artikel und Spiegel Online hat auch nicht immer Recht. Allerdings ist die Poetenszene in der Tat recht professionell geworden und das in der Spitze und in der Breite. Der Poetry Slam wird dadurch qualitativ aufgewertet und so für Zuschauer und Veranstalter interessanter. Gelegentliche Beiträge in den Medien tun ihr übriges zur Verbreitung.

Doch genau da liegt meiner Meinung nach auch eine Reihe von Problemen. Zunächst einmal für den Poetry Slam selber. Denn tatsächlich fördert die große Konkurrenz eine bestimmte Art von Geschichten, die mehr Erfolg versprechen als andere Textformate und Inhalte. Zu allem Überfluss ist dies auch noch ein selbst verstärkender Effekt, denn durch einen solchen inhaltlichen Wandel werden mehr Zuschauer eines bestimmten Stils angezogen, während andere mit der Zeit wegbleiben. Der Slam macht das Publikum und das Publikum macht den Slam. Das klingt auf den ersten Blick folgerichtig und basisdemokratisch, aber die Abwechslung in den Inhalten aber auch in der Qualität der Beiträge geht so immer mehr verloren. Der Spielraum für neue Poeten und neue Geschichten wird dadurch zunehmend enger.

Die große Zahl guter Künstler, die sich dieser Entwicklung angepasst haben und zudem reisewillig bereit stehen, nimmt dabei Stück für Stück den Raum der lokalen Poeten ein, bei einigen Slams spielen letztere mitunter gar keine nennenswerte Rolle mehr. Was soll ein ambitionierter Nachwuchsdichter denn auch denken, wenn er sich mit seinem Erstlingswerk ausschließlich gut gestylten und schon hundertfach erprobten Texten stellen muss? Er wird in vielen Fällen davon absehen, die Bühne zu betreten. Welchen Sinn sollte es auch haben, wenn der eigene Text bereits subjektiv viel schlechter und der eigene Stil nicht passend zum Massengeschmack erscheint? „Ein guter Poet muss da durch“ höre ich dann oft und zwar meist von den Poeten, die schon so lange erfolgreich sind, dass sie vermutlich bereits vergessen haben, wie einfach es für sie früher war, als die Konkurrenz noch überschaubar war.

Es ist aber nicht so, dass das Problem überhaupt nicht angegangen wird. Sehr viele erfolgreiche Nachwuchspoeten entstammen Poetry Slam Workshops, die von erfolgreichen Slammern angeboten werden. In dieser Schule werden sie ausgebildet, desensibilisiert und bringen automatisch ein gewisses Standing mit. Doch es macht mir etwas Angst, wenn Slammen künftig zu einem Ausbildungsberuf werden sollte. Darüber hinaus gibt es zahlreiche U20-Wettbewerbe, was in meinen Augen Sinn macht, da sich die Lebens- und Schreiberfahrung von Schülern in ganz anderen Texten niederschlägt, die sich nicht immer mit denen Älterer vergleichen lassen. Doch innerhalb der U20 zeichnet sich mittlerweile das gleiche Problem ab: er hat zu viele gute, professionelle Poeten. Einige Veranstaltungsorte sind mittlerweile gar dazu übergegangen, ihren Slam noch weiter zu teilen. Sozusagen in einen Profislam und einen Nachwuchsslam. Ich einmal gespannt, ob eine solche „Zweite Liga“ genug Interesse beim Publikum und bei den Poeten findet.

Letztendlich lässt sich diese Entwicklung wohl nicht aufhalten und es wäre wohl wenig sinnvoll, sich künstlich dagegen zu stemmen. Wer sollte denn den Poeten ihre Texte vorschreiben und bestimmen, welche Geschichten dem Publikum zu gefallen haben, außer die Poeten und das Publikum selber? Wie könnte man einzelnen Poeten vorwerfen, dass sie sich Mühe geben, erfolgreiche Geschichten zu schreiben? Trotzdem birgt die Entwicklung die Gefahr, dass der Poetry Slam am Ende nur noch von einer kleinen Zahl aktiver Poeten bestritten wird. Die Einstiegshürde für neue Poeten liegt schon jetzt deutlich höher und viele Poeten und Geschichten scheitern bereits vor ihrem ersten Auftritt.

Andererseits könnten sich möglicherweise im Zuge der Verbreitung auch Slams in immer kleineren Orten bilden, die unwichtig genug bleiben, um den alten Slamcharakter bewahren können. Für Zuschauer, Slammer und Slammaster bliebe die Aufgabe, auch den möglicherweise schlechteren Nachwuchspoeten ihren Respekt zu erweisen und sie zu ermutigen. Dies ist in der letzten Zeit leider nicht mehr immer der Fall. Es wäre schade, wenn der Poetry Slam am Ende nur noch auf dem Papier eine Mitmachveranstaltung wird.

Eine Version dieses Textes ist erschienen in*:
- Torsten Wolff: "Slampoet" (E-Book)

* Die Buchtitel sind jeweils Amazon-Partnerlinks