Was einen beim Reisen zu Poetry Slams in anderen Städten erwartet.

Auf Abwegen


Irgendwann wird einem Poeten die heimische Bühne zu eng. Er kennt den Veranstaltungsort, den Ablauf des Abends und die Leute, die dort regelmäßig zusammen kommen. Irgendwie ist alles ein wenig Routine geworden. Doch noch viel schlimmer ist die Untätigkeit. Nur einmal im Monat auf der Bühne stehen, das ist einfach viel zu wenig für einen brennenden Poeten.

Der Blick über den Tellerrand hinüber zum nächstgelegenen Poetry Slam, kann in einigen Regionen allerdings eine herbe Enttäuschung sein. Während in Großstädten wie Köln, Berlin, Hamburg oder München gleich mehrere Slams parallel existieren, sind sie in manch anderen Regionen eher spärlich gesät. Vermutlich hat das geographische Gründe. Doch für den, der sich erstmal mal zum Reisen entschlossen hat, ist das kein Hinderungsgrund und wer bereit ist, jeden Weg auf sich zu nehmen, kann beinahe jeden Abend auf einer anderen Bühne stehen.

Bevor man sich auf die Reise macht, sollte man allerdings noch mit dem Veranstalter vor Ort Kontakt aufnehmen. Nicht nur, um festzustellen, ob es überhaupt noch freie Plätze in der Slammerliste gibt. Veranstalter können auch kostenlose Schlafplätze organisieren und sind häufig bereit, die Reisekosten des Poeten zu übernehmen. Das klappt in den meisten Fällen auch für unbekannte Poeten, nur besonders kleine Slams müssen wegen ihres geringeren Budgets etwas knauseriger sein.

Die Ankunft in der neuen Stadt ist immer eine spannende Sache. Das beginnt meist schon mit der Suche nach dem Veranstaltungsort. Einige Poeten vertrauen dabei auf Wegbeschreibungen, die beinahe jeden Ort in der Stadt bezeichnen könnten oder sie stellen fest, dass Karten-Ausdrucke aus dem Internet erst dann wirklich hilfreich werden, wenn man sich zumindest in dem ausgedruckten Bereich befindet. Aber letztlich: wozu gibt es Handys? Der Slammaster wird schließlich schon sagen können, wie man am Besten herkommt.

Der Auftritt auf einer neuen Bühne ist für einen Slammer immer etwas Besonderes, sofern er nicht zu dem kleinen harten Kern gehört, der beinahe täglich auftritt. Der Ort ist anders und auch die Stimmung. Manche Slams sind eine Stunde vor dem Beginn schon ausverkauft, bei anderen sitzen da drei Leute. Es gibt Slams in verwinkelten Kneipen oder in kargen Hallen mit Stuhlreihen, manche fassen nicht mehr als 30 Zuschauer, andere locker 300.

Und überhaupt das Publikum kann sehr unterschiedlich sein. Manchmal ist die Stimmung so optimistisch wie im Wartezimmer beim Zahnarzt und man fragt sich: „Warum sind die eigentlich hergekommen?“, „Warum bin ich eigentlich hergekommen?“. Bei anderen erhält man orkanartigen Applaus, wenn man nur die Bühne betritt, dass man fast Angst hat, auf der anderen Seite wieder hinunter gefegt zu werden.

Es ist angenehm, dass einen in der Fremde niemand kennt, wobei die Fremde schon in der Nachbarstadt beginnt. Wenn man mag, kann man seine besten Geschichten vortragen, was die Chance, zu den Gewinnern des Abends zu gehören, ungemein steigert. Meistens tut man das auch, denn eigentlich will niemand den weiten Weg auf sich nehmen, um nach sechs Minuten Text in der Vorrunde auszuscheiden. Doch spätestens im Finale kann man dann experimentieren. Geschichten ausprobieren, die man sich zuhause noch nicht zu erzählen getraut hat. Hier kennt einen ja glücklicherweise niemand und man braucht ja auch nicht wiederzukommen. Oder man lässt einfach Gras über die Sache wachsen; wer erinnert sich schon an den peinlichen Auftritt aus dem vorigen Jahr?

Eine Version dieses Textes ist erschienen in*:
- Torsten Wolff: "Slampoet" (E-Book)

* Die Buchtitel sind jeweils Amazon-Partnerlinks