Beschreibung meines ersten Auftritts bei einem Poetry Slam.

Das erste Mal tut es noch weh


Als ich an diesem Abend an die Kasse komme, darf ich meinen Geldbeutel in der Tasche lassen. Poeten brauchen keinen Eintritt zu zahlen, sie kommen auch so rein. Es gibt sogar Leute, die aus genau diesem Grund spontan einen Beitrag anmelden; eben, um das Eintrittsgeld zu sparen. Mir geht es nicht um das Geld, doch ich denke mir, wenn es denn schon umsonst ist, wird bestimmt kein richtiger Slammer Eintritt bezahlen. Ehrlich gesagt, weiß ich herzlich wenig darüber, wie man sich als Slammer verhalten muss.

Der Saal ist bereits jetzt ziemlich voll. In der Ferne sehe ich die Bühne, wo schon zwei Mikrofone aufgebaut sind. Das fühlt sich nun aber ganz anders an als beim letzten Mal. Ich suche den Slammaster auf und melde mich an. Das geht reichlich unspektakulär: Mein Name auf einem Zettel, ein paar kurze Fragen, ob ich so etwas schon mal gemacht hätte oder zumindest wüsste, worum es geht – das war's.

Ich finde meine Freunde diesmal an einem Tisch ganz vorne; sie wollen heute Abend nichts verpassen. Für mich ist das eher ungünstig. Ich muss gefühlt alle 10 Minuten aufs Klo oder eine Zigarette rauchen. Bei der Frequenz, mit der ich mich immer wieder durch das Gedränge schiebe, kennen mich die Leute schon, bevor ich auf der Bühne bin. Ich hoffe, dass keiner von denen später in der Jury sitzt, denn bestimmt hassen sie mich schon jetzt.

Ist mir aber auch egal, denn ich bin ohnehin mit den Nerven völlig runter. Meine Freunde geben sich alle Mühe, mich wieder zu beruhigen und nach einer Weile funktioniert das dann ein bisschen. Immerhin wissen jetzt auch die Leute an den umliegenden Tischen, dass ich heute Abend auf die Bühne gehen werde und fangen an, mir ebenfalls Mut zuzusprechen. Das ist wahnsinnig nett, zerstört aber die letzten Reste meiner Hoffnung auf einen total coolen Auftritt von mir. Erstaunlich, wie die Poeten beim letzten Mal alle so locker wirken konnten.

Dann geht es endlich los. „Ein Poetry Slam ist ein Dichterwettstreit, ...“. Ich weiß. Ein ganz anderer Teil der Einleitung, der bislang belanglos war, ist diesmal viel wichtiger für mich: Die Auslosung der Reihenfolge der Auftritte. Bitte lose mich nicht als ersten, bitte gebe mir noch etwas Zeit. Ich bekomme sie. Danke. Ich kann erst einmal wieder zum Teil des Publikums werden und den Geschichten zuhören. Je dichter allerdings mein Auftritt kommt, desto mehr kommt die Nervosität zurück. Ich musste früher öfter vor Gruppen etwas vortragen, aber da war ich verpflichtet, das zu tun. Hier aber hat mich niemand gefragt oder gebeten, sondern ich habe mich selbst angemeldet. Irgendwie ist das ein Unterschied.

Mein Name. Ich bahne mir meinen Weg nach vorne zur Bühne. Es verunsichert mich, dass mich schon jetzt alle anschauen. Aber es sind freundliche und neugierige Blicke und als ich oben auf der Bühne angekommen bin, kann ich ohnehin sicher sein, dass mich nun alle anschauen, denn das ist ja irgendwo der Sinn dieser Veranstaltung. Ich schaue zwar zurück von da oben in den vollen Saal, aber auf den letzten Metern ist irgendetwas mit mir passiert. Ich schaue zwar, aber ich nehme nicht mehr richtig wahr und kann keine einzelnen Gesichter mehr unterscheiden. Ich bin froh, dass ich meinen Text dabei habe, und beginne einfach zu lesen. Ich muss den Text mit beiden Händen halten, denn eine Hand alleine zittert viel zu sehr. Doch mit den ersten Sätzen kommt, nun, vielleicht nicht gerade Sicherheit, aber wenigstens ist die Panik verschwunden. Als ich fertig bin, verbeuge ich mich artig, erhalte Applaus und gehe wie in Trance von der Bühne. Immerhin erkenne ich jetzt wieder einzelne Gesichter.

Am Ende der Vorrunde erfahre ich: Ich bin im Finale. Noch einmal auf die Bühne. Doch diesmal ist es leichter, denn ich habe diesmal nichts zu verlieren. Meine Finalgeschichte habe ich erst vor zwei Tagen geschrieben. Sie ist nicht richtig schlecht, aber sie wird mich sicher auf den letzten Platz der Endrunde führen. Letztlich war es ein wunderbarer Abend, ich wünschte nur, ich hätte mehr davon mitbekommen.

Eine Version dieses Textes ist erschienen in*:
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