Beschreibung der Rückschläge und des harten Lebens, welches man als Poetry Slammer erfährt.

Quäl' Dich, Du Sau!


Mit diesem Satz trieb Udo Bölts im Juli 1997 seinen Kapitän Jan Ullrich zum Tour-de-France-Sieg und vielleicht fehlt bei Dir auch nur noch ein kleiner verbaler Tritt, um Dich auf die Bühne zu treiben. Viele Freunde von mir tragen sich insgeheim mit dem Gedanken, selbst einmal auf die Bühne zu gehen und einen Text vorzutragen, aber trauen sich letztendlich doch nicht. Darum möchte ich das Thema des Schreibens und des Auftretens noch einmal aufnehmen und, wenn es einen gibt, der sich deswegen auf die Bühne wagt, dann denke ich, hat sich dieses Kapitel gelohnt.

Es gibt regelrechte Rampensäue, die sich auf der Bühne heimisch fühlen und die Herzen des Publikums im Sturm erobern. Die meisten gehören eher nicht dazu. Ich zum Beispiel gehöre genau zu der anderen Fraktion; meinen ersten Auftritt habe ich kaum mitbekommen und erst nach einem Dutzend Auftritten habe ich es geschafft, mich nicht mehr bei jedem zu entschuldigen, wie nervös ich gewesen bin. Erstaunlicherweise waren die Rückmeldungen nach diesen Auftritten immer positiv. Entweder wurde mir versichert, dass ich sehr souverän gewesen wäre und man rein gar nichts von Nervosität gemerkt hat. Oder, wenn man es doch bemerkt hatte, wäre es gerade das gewesen, was mich so „süß und sympathisch“ gemacht hätte. Es scheint also oft ein großer Unterschied zu sein zwischen dem, was man fühlt, und dem, was andere wahrnehmen.

Auf der anderen Seite neige ich dazu, sehr verliebt in meine Geschichten zu sein, während gerade viele Anfänger an ihren Geschichten zweifeln. Doch werden sie die Meinung eines größeren Publikums nie erfahren, wenn sie ihre Geschichte dem Publikum vorenthalten. Selbst, wenn die eigene Geschichte im Vergleich zu anderen schlechter dasteht, könnte das vielleicht daran liegen, dass einige Poeten quer durch Deutschland reisen, um auf Slams aufzutreten und manche bereits hunderte von Auftritten absolviert haben. Das sind aber nicht die Leute, mit denen man sich als Anfänger vergleichen sollte. Poetry Slams leben gerade von der Vielfalt und von dem Mitmach-Gedanken, eine reine Profiveranstaltung empfinde zumindest ich als steril und langweilig. Externe Besucher kommen und gehen, doch die lokalen Dichter eines Slams geben ihm die Seele und darum ist es genau falsch, zu denken, „dort nichts zu suchen“ zu haben.

Allerdings sollte man Geschichten nicht auf der Bühne vortragen, ohne sie wenigstens zwei Personen vorgelesen zu haben und man sollte sie vorher auch nicht wegwerfen. Andere Menschen sehen die Stärken und die Schwächen von Geschichten anders und oftmals klarer als der Autor selbst. Darum macht es Sinn, vor seinem Auftritt vielleicht einen oder zwei Poetry Slams besuchen, um zu sehen, wo der Hammer hängt. Wenn Deine Freunde einhellig der Meinung sind, dass die schlechteste Nummer auf dem letzten Slam gegen Deine Geschichte eine Ohrenweide war, sind Deine Ängste vielleicht doch nicht nur vorgeschoben und weniger schmerzbefreite Naturen sollten von einem Auftritt absehen. Aber nur dann!

Gerade als unerfahrener Poet macht man noch Fehler. Nun ist man selber der Poet und soll dem Publikum nicht nach dem Mund reden, aber man muss sich dessen Meinung ja nicht komplett verschließen. Eine wesentliche Voraussetzung für den Erfolg einer Geschichte ist, dass das Publikum sie nachvollziehen kann. Viele Anfänger bevorzugen seltsamerweise witzige Anekdoten aus der eigenen Erfahrungswelt oder pathetische Worte, in der sie ihre Gefühlswelt darlegen. Leider versteht das kaum jemand und es ist schwer, sich innerhalb von ein paar Minuten dafür zu begeistern. Viele erfahrene Slammer hingegen bedienen sich teilweise gebetsmühlenartig aus dem Topf der Themen, die immer funktionieren: Die Gegensätze von Frauen und Männern, die Bahn, die Post, der Supermarkt, das Fernsehprogramm und als Prise Provokation tritt irgendwo Adolf Hitler auf. Das funktioniert, weil jeder diese Dinge kennt und jeder eine Meinung dazu hat. Auf keinen Fall möchte ich aufrufen, in den gleichen Topf zu greifen, nur wähle ein Thema, das jeder versteht oder erkläre das, was man nicht kennt, in Deiner Geschichte.

Bei Poetry Slams gibt es ein Zeitlimit, das man nicht überschreiten sollte. Zum einen wird man auf einigen Bühnen nach Ablauf der Zeit recht bald unterbrochen, zum anderen ist nach dieser Zeit auch meist der Spannungsbogen bei den Zuhörern am Ende angekommen. Sie warten auf eine neue Geschichte.

Auf keinen Fall solltest Du die Sprechgeschwindigkeit erhöhen, um das Zeitlimit einzuhalten. Du verlierst nur an Betonung und die Aufmerksamkeit der Zuhörer erlahmt dann eben bereits zwei Minuten vor dem Ende, falls sie dem Satzstakkato überhaupt solange folgen konnten. Lies Deinen Text zuhause langsam und in Ruhe und kürze Unwichtiges, bis die Länge stimmt und Du mindestens 30 Sekunden Reserve hast. Es gibt keine Regel, die besagt, dass man die Zeit voll ausnutzen muss, streiche Unwichtiges auch dann, wenn Du dadurch deutlich vor der Zeit fertig bist.

Achte auch auf der Bühne darauf, dass Du langsam und ruhig sprichst und hetze nicht vor Aufregung durch den Text. Insbesondere die ersten Sätze sind wichtig, denn aus der Sprechweise, die Du zu Beginn wählst, kommst Du im Laufe der Geschichte nur schwer wieder raus. Du musst dich nicht vorstellen oder irgendwas Lustiges sagen, wenn Du nicht willst, sondern kannst einfach nur mit Deiner Geschichte beginnen. Wenn Du es schaffst, achte darauf, ob das Publikum überhaupt schon zuhört. Manchmal ist so eine Unruhe, dass keiner den Anfang Deiner Geschichte mitbekommt. Zum Glück hast Du ja ein Zeitpolster und kannst kurz noch abwarten. Zur Not sagst Du eben doch was vorher. Schön, wenn man aus der Not eine Tugend machen kann. Ein Beitrag, den ich mal gehört habe, begann in etwa mit den Worten: „Wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass ein Publikum gar nicht in der Lage ist, den ersten Satz eines Vortrags wahrzunehmen, Ihr Arschlöcher“. Pause. Lacher. Und los.

Sprich deutlich in das Mikrophon hinein, meist sind die Lippen nur wenige Zentimeter vom Mikrophon entfernt. Je nachdem, wer gerade vor der auf der Bühne war, ist das Mikrophon meist zu hoch oder zu niedrig. Achte vorher darauf, wie man die Höhe verstellt oder bitte den Slammaster, Dir das Mikrophon einzustellen; niemand wird Dir dafür böse sein. Falls Du auswendig vorträgst, suche Dir einen festen Punkt in der Mitte des Publikums, den Du angucken kannst. Liest Du ab, gehe nicht mit einem einzelnen Textblatt auf die Bühne, denn das zittert viel zu sehr. Ich nehme meist einen Stapel von etwa zehn Blättern, die unter meiner Geschichte liegen, auch wenn das manchmal den Eindruck erweckt, als wollte ich eine abendfüllende Novelle vortragen.

Und denke immer daran: Eine gute Geschichte bleibt auch dann eine gute Geschichte, wenn andere Geschichten besser sind. Und darum steht jeder Poet, der ernsthaft und nach Kräften mit sich und seinem Text gerungen hat, zu Recht dort oben auf der Bühne.

Eine Version dieses Textes ist erschienen in*:
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