Kurzer Gedankengang zu Plagiaten und Ideenklau beim Poetry Slam.

Kommt mir so bekannt vor


Wer regelmäßig auf Poetry Slams geht, merkt schnell, dass es bestimmte Themen gibt, die immer wieder kehren. Insbesondere die Liebe, ohne die es vermutlich keine Poesie gäbe, ist so ein Thema. Doch wenn man die Liebe und all ihre Folgen als Themen beim Poetry Slam verbieten würde, wäre die Bühne vermutlich so leer wie eine Bundestagssitzung, bei der man Lehrer und Anwälte ausschließen würde. Mancher Zuschauer, der verschiedene Slamorte besucht, bemerkt zuweilen sogar, dass ein Poet die gleiche Geschichte tatsächlich schon einmal woanders vorgelesen hat.

Einem Poeten, der dabei auf der Bühne ertappt wird, kann es durchaus passieren, das die Publikumswertung deswegen etwas schlechter ausfällt, denn es gehen immer einige im Publikum davon aus, dass ein Slampoet ein Füllhorn guter und ständig neuer Geschichten ist und selbstverständlich jede Geschichte nur einziges Mal vorträgt.

Ein ähnliches Missgeschick ist es für den Poeten, wenn er im Verlauf des Abend feststellt, dass er mittlerweile der Dritte ist, der einen lustigen Text über das schlechte Fernsehprogramm lesen will. In diesem Fall hat man Glück, wenn man doch noch einen anderen Text dabei hat, denn für den Abend zumindest ist die Pointe der eigenen Geschichte schon erzählt. Doch darüber hinaus fragt man sich manchmal, ob man den eigenen Text generell und über den Abend hinaus noch erzählen kann. Denn zum einen gibt es den Text ja nun schon, zum anderen macht man sich vielleicht sogar verdächtig, andere Texte oder Konzepte zu kopieren.

Es gibt Poeten, die solche Übereinstimmungen als Pech verbuchen und die eigene Geschichte dann als verbrannt fallen lassen. Ich tue das nicht. Zum einen kann ich mir das gar nicht leisten, denn so viele Geschichten schreibe ich nun auch wieder nicht. Außerdem verliert die eigene Geschichte ja nicht ihre Qualität, nur weil sie so ähnlich bereits von einem anderen erzählt worden ist. Wenn die Geschichte gut ist, soll sie auch erzählt werden. Selbst, wer gezielt eine Geschichte oder ein Konzept kopiert, kann dadurch etwas Neues schaffen. Ich habe das einmal sogar selbst getan, als ich eine Geschichte mit Frauennamen geschrieben habe, nachdem ich zuvor eine über Städtenamen gehört habe. Aber eigentlich will ich „eigene“ Geschichten schreiben.

Dennoch habe ich immer etwas Angst, die Texte anderer Poeten zu hören. Denn beim Schreiben neuer Geschichten schränkt mich bereits Gehörtes ein, weil ich ja gerade nicht kopieren will. Obwohl es eigentlich albern ist, denn beinahe jedes Musikstück und jede Geschichte wird durch andere inspiriert oder zumindest beeinflusst. Außerdem fürchte ich immer ein wenig, einen Text zu hören, der meinem so ähnlich ist, dass ich ihn am gleichen Ort erst mal nicht vortragen kann, ohne Angst zu haben, dass mich jemand der Nachahmung beschuldigt.

Doch auch das ist Unsinn, denn es kann wohl kein Poet hoffen, einen komplett neuartigen Text zu schreiben, weshalb man das Schreiben dann wohl sein lassen müsste. Außerdem kopieren viele der erfolgreichsten Poeten gnadenlos bei ihrem größten Vorbild: bei sich selbst. Immer nur die gleiche Art von Texten zu schreiben, die letztlich untereinander austauschbar sind, finde ich langweiliger als eine gute Kopie. Gezielt nachzumachen halte ich aber auch für grenzwertig. Wenn man es tut, dann muss man es zumindest anders machen. Allerdings habe ich auch noch nie einen Poeten getroffen, der eine fremde Geschichte platt kopiert hat.

Eine Version dieses Textes ist erschienen in*:
- Torsten Wolff: "Slampoet" (E-Book)

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