Was einen beim ersten Besuch eines Poetry Slams erwarten kann.

Eine neue Kunst


„Ein Poetry Slam ist ein Dichterwettstreit, bei dem die Poeten hier auf dieser Bühne sechs Minuten Zeit haben, einen selbstgeschriebenen Text vorzutragen. Dabei sind keine weiteren Hilfsmittel oder Verkleidungen erlaubt, es darf nicht gesungen werden und auf gar keinen Fall darf man mit nackten Oberkörper und einer angezündeten Kerze auf dem Kopf das Lied 'Stille Nacht - heilige Nacht' singen. Ansonsten kann der Poet hier auf der Bühne tun und lassen, was ihm gefällt, denn am Ende entscheidet ihr, das Publikum, wie gut oder wie schlecht euch die gesehene Darbietung gefallen hat.“

So oder so ähnlich klingt es, wenn der Moderator des Abends den zahlreichen Gästen erklärt, worum es bei der Veranstaltung, der sie gerade beiwohnen, überhaupt geht. Es war im Februar 2008, als ich eine solche Einleitung das erste Mal hörte. Aus im Nachhinein nicht mehr ganz zu klärenden Umständen habe ich an diesem Abend mit einigen Freunden einen Poetry Slam besucht, obwohl ich nur eine vage Vorstellung davon hatte, was das eigentlich sein könnte.

Der Moderator trug eine gewollt komisch wirkende Schirmmütze, die anscheinend sein Markenzeichen war. Ich mag so eine zur Schau gestellte Coolness nicht. Aber zum Glück für ihn war er auch tatsächlich so locker und komisch. Die Schirmmütze konnte ich also verzeihen. Nach einer amüsanten Erklärung des Punktesystems und der Wahl einer Publikumsjury war also der Boden bereitet für den angekündigten Wettkampf der Poeten.

Den Begriff „Dichter“-Wettstreit musste man dabei nicht wörtlich nehmen; tatsächlich waren die wenigsten Texte gereimt. Es waren vielmehr ein Dutzend Texte von ebenso vielen Autoren, zu wechselnden Themen und von unterschiedlicher Qualität. Erstaunlicherweise nahmen nicht nur lokale Dichter teil, sondern etliche, die extra einen weiten Weg gereist waren, um hier aufzutreten. Und es war genau diese Mischung, die für mich den eigentümlichen Reiz ausmachte. Es mischten sich lustige Geschichten mit ernsten, eher langatmige mit feurigen Texten und längst nicht alles war perfekt, weshalb man aber gerade das Gute in jedem Text entdecken konnte. Bei einigen Dichterlesungen bin ich für teures Geld am Ende ermüdet, hier beim Poetry Slam konnte immer das Unerwartete passieren.

Am Ende des Abends war eines klar: ich wollte auch einmal da oben auf der Bühne stehen und das möglichst bald. Dabei hatte ich keinen besonderen literarischen Geltungsdrang, nicht einmal eine Idee von etwas, das ich vortragen könnte. Ich war nur gefangen von der Veranstaltungsform und wollte wissen, wie es ist, da vorne vor 200 Leuten auf der Bühne zu stehen und einen Text vorzutragen. Und um ganz sicher zu gehen, nicht später aus Angst oder Kreativlosigkeit von dem Plan abzurücken, erzählte ich den anwesenden Freunden, dass ich beim nächsten Mal, spätestens beim übernächsten Mal hier öffentlich etwas vortragen würde.

Wie ich zu einer Geschichte kommen sollte, war mir allerdings noch unklar, doch der Termin lag ja noch in weiter Ferne und bis dahin würde mir schon irgendetwas einfallen. Es dauerte recht lange mit einem Einfall, denn je intensiver ich versuchte, einen guten Text zu erfinden, desto schlechter wurde er.
Doch dann kam die Geschichte zu mir. Ich habe immer wieder nachgedacht, wie ich eigentlich darauf gekommen war, aber wie aus heiterem Himmel hatte ich endlich die Grundidee für den Text, mit dem ich es wagen würde, auf die Bühne zu treten. Als sie fertig war, hatte ich nicht das Gefühl, als hätte ich eine Geschichte geschrieben, es war eher so, als hätte ich sie gefunden und lediglich aufgeschrieben.

Eine Version dieses Textes ist erschienen in*:
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