Ein Text, wie das Aufräumen des Kellers auch das eigene Seelenleben aufräumen kann.

Keller aufräumen


Ich will heute meinen Keller aufräumen. Eigentlich habe ich dafür keine Zeit, aber wann hat man schon mal Zeit, seinen Keller aufzuräumen? Dabei ist der Keller doch so etwas wie das Fundament der eigenen Lebensarchitektur. Wenn etwas bleibt von mir nach dem nächsten Krieg, der statistisch schon lange überfällig ist, dann wird man es in meinem Keller finden. Er ist mein persönliches Museum. Eine Sammlung von Erinnerungen, die man nicht mehr braucht, aber die man auch nicht wegwerfen kann ohne das Gefühl, seine Vergangenheit zu verlieren.

Mich aber quält mein Keller schon seit drei Wochen. Seit ich beschlossen habe, ihn aufzuräumen. Er raubt meine Zeit. Dabei kann ich eigentlich gut mit Zeit. Ich fahre den Hockenheimring auf der Playstation jetzt in 2:53 Minuten. Im Vergleich zu anderen spare ich so pro Runde über 20 Sekunden. Zeit, die ich in den letzten Wochen angesammelt habe, um endlich meinen Keller aufzuräumen. Ich habe das überprüft. Alle zwei Runden spare ich genug Zeit, um einmal in den Keller zu gehen: Ein kurzer Blick auf das Chaos und dann zurück zum Kelleraufgang gehetzt, denn dann geht das Licht wieder aus.

Ich stecke mir eine Neue an und schaue zu, wie sich die Comic-Loks im Kinderkanal über Vorfahrtsregeln streiten und vielleicht schreibe ich da mal einen Text drüber. Wenn ich mal wieder Zeit habe. Dann mache ich auch wieder die ganzen anderen Dinge, für die man Zeit haben muss. Ich sollte vielleicht mal wieder bei der Uni vorbeischauen. Vorher vielleicht noch etwas Wäsche waschen.

Aber erst mal den Keller aufräumen. Denn solange einem die Grundlage fehlt, bleibt alles andere oberflächlich. Tolle Allegorie. Der Keller als die geheime Kammer der eigenen Psyche, die man meist verdrängt und erst recht niemanden zeigt. Und oben drauf gebaut das Haus des Lebens. Vielleicht sollte ich darüber mal einen Text schreiben. Doch das Dumme ist, dass mein Keller wirklich unterirdisch ist: total zugemüllt und unerreichbar. Wie du es wohl geschafft hast, deine Sachen da so ordentlich dazuzustellen? Aber du warst ja schon immer ein Organisationstalent.

Eigentlich will ich meinen Keller gar nicht aufräumen. - Was ich will ist, dass du wiederkommst. Und das will ich eigentlich schon seit sechs Monaten. Den Hockenheimring in drei Minuten lernt man schließlich nicht in drei Wochen.

Ich will mit dir in dem Reihenhaus in der Vorstadt wohnen. Ich will dort am Wochenende deinen Vorgarten mähen und die Hecken schneiden wie dieser agile Dicke mit dem schwindenden Haaransatz, der das jetzt tun darf. - Nein, das will ich eigentlich gar nicht. Ich will nicht dick sein, nicht agil und keinen Glatzenansatz und dich will ich eigentlich auch nicht mehr. Ich will einfach nur, dass mein Keller aufgeräumt ist. Ich kann auch einfach einen Entrümpelungsservice anrufen. Das mache ich jetzt auch - kommt morgen.

Man habe ich heute was geschafft. Keller aufgeräumt. Und es ist noch nicht mal Zwölf. Ich schalte die quietschbunten Barbiefiguren, die sich mittlerweile auf meinen Fernsehschirm eingefunden haben, ab und fahre stattdessen eine Runde auf dem Hockenheimring, bei der Michael Schumacher vor Neid seine blöde Kinnlade runterfallen würde. Und dann schreibe ich einen Text. Irgendwas mit Loks auf dem Hockenheimring, schließlich soll man über etwas schreiben, was einen irgendwie weiter bringt.



Eine Version dieses Textes ist erschienen in*:
- Torsten Wolff: "Würde ist ein Konjunktiv" beim Blaulicht-Verlag

* Die Buchtitel sind jeweils Amazon-Partnerlinks