Ein Text über den heimlichen Wunsch, die Welt mit einem Todesstern zu zerstören.

Todesstern-Sehnsucht


Ich hasse Weihnachten. Wegen vieler Sachen. Ich hasse Weihnachten, weil man immer auf weiße Weihnachten hofft, und dann gibt es nur matschige Regenpampe. Und weil schon im September das Weihnachtsgebäck im Supermarkt die Regale gentrifiziert. Und weil sie dort die gleichen fünf Weihnachtslieder dudeln, die schon den ganzen Tag im Radio laufen. Wie soll man denn da in Weihnachtsstimmung kommen? Ich kaufe doch auch nicht drei Monate lang Kondome und höre Bolero auf Endlosloop, wenn ich ein Date hab.

Vor allem hasse ich Weihnachten aber wegen der Geschenke, die man machen muss. Rasierschaum für Papa. Weil's ein Geschenk sein soll, aber nicht den für 2,99, der sich seit Jahren bewährt hat, sondern irgendeinen aus der Boutique für 38 Euro. Und Schmuck für meine Mutter, den sie genau zweimal tragen wird: einmal am Weihnachtsabend und danach auf den Dachboden.

Und selber bekommt man immer den letzten Scheiß geschenkt und um das zu verhindern muss man sich ständig Wünsche aus den Fingern saugen oder sich Dinge wünschen, die man eigentlich besser selber kaufen könnte. Viel lieber bestelle ich doch ein Buch, das ich haben will, im Internet und habe es zwei Tage später in der Post, als dass ich meine Mutter bitte, mir den dritten Band von “Wächter der Nacht” zu schenken, um Heilig Abend den vierten Teil von “Twilight” unterm Baum zu finden und dann zu hören, das wäre ja schließlich auch mit Vampiren. Und meine zehnjährige Nichte, die sich “Twilight” tatsächlich gewünscht hat, bekommt statt dessen “Shades of Grey”, was aber passt, da es bei beiden ja irgendwie um Liebe geht.

Aber wenn ich gar nichts sage, bekomme ich von meiner Mutter immer einen handgestricken Pullover. Sie hat sich nicht einmal überzeugen lassen, die selbstgestrickten Pullover gleich direkt an das rote Kreuz zu schicken, statt immer den Umweg über mich zu nehmen und mir auch noch die ganze Arbeit aufzuhalsen. Sie war nur sehr traurig und schenkte mir im nächsten Jahr einen handgestrickten Pullover. Seitdem habe ich eine einfache Taktik bei Weihnachtswünschen. Wenn meine Mutter mich fragt, sage ich “einen handgestrickten Pullover mit HSV-Emblem” und lasse mich dann überraschen, was für ein Muster der Pullover am Ende wohl haben wird. Allen anderen sage ich nur verächtlich: “Einen Todesstern”.

Und tatsächlich finde ich Weihnachten einen Todesstern unterm Weihnachtsbaum, verpackt in einem geheimnisvollen Karton mit chinesischen Schriftzeichen. Trotzdem ist der erste Anblick recht enttäuschend, denn in Rosa sieht ein Todesstern irgendwie nicht ganz so bedrohlich aus. Meine Freundin zuckt bedauernd mit den Achseln und meint, dass es leider nur noch Todessterne für Mädchen gab, weil die für Jungs schon lange ausverkauft waren. “Immerhin”, denke ich: “es ist ein Todesstern”, auch wenn er aussieht wie eine fliegende Titte mit einer viel zu großen Brustwarze. Vielleicht ist Weihnachten ja doch nicht so doof und meine Freundin nutzt die Situation, um mich gleich schon mal zu fragen, was ich mir nächstes Jahr zu Weihnachten wünsche, schließlich hätte sie ja für den Todesstern auch eine Weile suchen müssen. Aber ich sage nur: “Welches nächste Weihnachten?”.

Weil der Todesstern noch klein ist, hat er nicht genug Energie für den ganzen Abend und ich muss ihn erst Mal zum Aufladen zurück in die Kiste packen, obwohl ich insgeheim gehofft hatte, dass er wenigstens den Weihnachtsbaum in Brand schießen würde. Am nächsten Morgen ist er aber schon ein bisschen gewachsen und sieht jetzt aus wie ein rosa Basketball. Als ich mit ihm in den Park gehe, merke ich, dass man als Todessternbesitzer von anderen Leuten ein bisschen komisch angeschaut wird. Aber das ist mir egal, denn ich erfreue mich viel zu sehr an dem Anblick, wie “Sterni” die anderen Hunde über die Wiese jagt und immer wenn ein empörter Hundebesitzer zu mir kommt, setze ich meinen unschuldigsten Blick auf und sage: “Der will doch nur spielen”. Leider setzte er weder den Traktorstrahl noch den Planetenzerstörungslaser ein. Nicht einmal, als er von einigen Vätern, die mit ihren Söhnen die Weihnachtsgeschenke ausprobieren, mit ferngesteuerten Kampfhubschraubern angegriffen wurde. Diesen Scheiß gibt es ja mittlerweile für 20 Euro an jeder Ecke. Erst als Sterni verängstigt in einem Baum festhängt, geben sie Ruhe. Warum denken alle Leute nur, dass Todessterne ein natürliches Ziel seien, um in die Luft gejagt zu werden?

Für den nächsten Tag nehme ich mir vor, Sterni das richtige Verhalten eines Todessterns beizubringen. Um genügend Schulungsmaterial zu sammeln, schaue in der Nacht alle Starwarsfilme in der Full Extension Fassung - inklusive der beiden grauenhaften Ewoks-Filme. Doch als ich Sterni am nächsten Morgen aus seiner Kiste holen will, liegt er einfach nur regungslos da. Lediglich die Statusanzeige blinkt und zeigt etwa zwei Dutzend wechselnde Fehlermeldungen, die ich im Internet nachschlagen muss, weil das chinesische Handbuch unverständlich geschrieben ist. Zum Glück finde ich auf der Herstellerseite aber eine deutsche Übersetzung, wo ich die wesentlichen Probleme identifizieren kann:

“Seine Zeit für vergebliche Probe ist weggelaufen, bitte Kosten Sie für Erzählung errichten.”
“Das Umland für sein Betreiben von Hardware ist nicht in Ihrem Umland.”
und “Die Lebenskreis von Batterie ist weggelaufen. Diese nicht bedeckt von rechter Auswechselung.”

Außerdem sagt das Internet, dass Sterni in Wirklichkeit von chinesischen Kindern aus Plastik hergestellt worden ist und bloß mit giftiger Metallfarbe angemalt war. Das jedoch finde ich nicht weiter schlimm, denn schließlich haben die nunmal so kleine geschickte Finger und außerdem trifft das ja auf die meisten Elektrogeräte zu, die sich unter dem Weihnachtsbaum finden. Sterni ist somit lediglich ein weiterer Fall für den großen Eimer, indem wir alle Geschenke entsorgen, die bereits die Weihnachtstage nicht überleben. Leider passt Sterni da nicht mehr hinein, weil der Eimer schon voll ist und ich muss darum nach draußen, um ihn auszuleeren. Und während ich durch den Schneematsch zum Müllcontainer platsche, dröhnt vom Nachbarhaus “Last Christmas” herüber.

Ich hasse Weihnachten.



Eine Version dieses Textes ist erschienen in*:
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