Eine satirische Geschichte für Weihnachtsmuffel.

Neulich habe ich mit meiner Oma die schlimmste Zeit des Jahres erlebt. Eigentlich ist es gar nicht meine Oma, aber letztlich macht das ja auch keinen Unterschied und immerhin weiß sie, wann ein Grund zum Feiern ist.

„Es ist Weihnachten.“, sagt Oma freudestrahlend, als sie nach Hause kommt.
„Oh, nein. Nicht jetzt schon.“, sage ich entsetzt.
„Doch.“ sagt Oma und hakt den letzten Punkt auf der Liste am Kühlschrank ab, auf der sich die offiziellen Weihnachtskriterien befinden:

    - Lichterkette in einem Wohnhaus
    - Weihnachtsgebäck im Supermarkt
    - Weihnachtsdeko bei einem Einzelhändler
    - Weihnachtsmann
    - Weihnachtslied im Radio

Daneben schreibt sie '2. November.' und kreist das Datum rot ein.
„Wie es aussieht bist Du die nächsten Wochen dran mit Abwaschen, Müll rausbringen und dem kompletten Winterdienst.“, sagt sie zufrieden.
„Wo?“, frage ich resigniert.
„Bei Spielwaren Meyer fährt ein 40 cm großer Weihnachtsmann in einer Eisenbahn durchs Schaufenster.“

„Ich hasse Weihnachten.“, sage ich. „Das sind also jetzt wieder acht Wochen, in denen das Weihnachtsgebäck die Supermarktregale gentrifiziert und sie fünfmal am Tag das gleiche Weihnachtslied spielen. Und das alles nur, damit alle rechtzeitig in 'Weihnachtsstimmung' kommen. Ich kaufe doch auch nicht zwei Monate vorher Kondome und höre Bolero auf Endlos-Loop, wenn ich ein Date habe.“
„Du hast ein Date?“
„Nein.“
„Na, hast Du ein Glück, dann hast Du Dir wenigstens schon einmal Geschenke kaufen gespart.“

„Oh Gott, die Geschenke. Ich weiß noch wie das früher war: Rasierschaum für Papa. Weil's ein Geschenk sein soll, aber nicht den für 2,99, der sich seit Jahren bewährt hat, sondern irgendeinen aus der Boutique für 38 Euro. Und Schmuck für meine Mutter, den sie genau zweimal tragen wird: einmal am Weihnachtsabend und danach auf den Dachboden.“
„Sieht aus, als hättest Du Dir richtig Mühe gegeben.“, sagt Oma.

„Ach was.“, sage ich, „Schließlich habe ich selber auch immer den letzten Scheiß geschenkt bekommen. Und um das zu verhindern, musste man sich ständig Dinge wünschen, die man eigentlich besser selber kaufen könnte. Viel lieber bestelle ich doch ein Buch, das ich haben will, im Internet und habe es zwei Tage später in der Post, als dass ich meine Mutter bitte, mir den dritten Band von “Wächter der Nacht” zu schenken, um Heilig Abend den vierten Teil von “Twilight” unterm Baum zu finden und dann zu hören, das wäre ja schließlich auch mit Vampiren. Und meine zehnjährige Nichte, die sich “Twilight” tatsächlich gewünscht hat, bekommt statt dessen “Shades of Grey”, was aber passt, da es bei beiden ja irgendwie um Liebe geht.“
„Ich meine hätte so etwas auch schon mal irgendwo gelesen.“, meint Oma nachdenklich.

„Aber wenn ich gar nichts gesagt habe, habe ich von meiner Mutter immer einen handgestricken Pullover bekommen.“, sage ich. „Sie hat sich nicht einmal überzeugen lassen, die selbstgestrickten Pullover gleich direkt an das Rote Kreuz zu schicken, statt immer den Umweg über mich zu nehmen und mir auch noch die ganze Arbeit aufzuhalsen. Sie war nur sehr traurig und schenkte mir im nächsten Jahr einen handgestrickten Pullover. Seitdem hatte ich bei meiner Mutter eine einfache Taktik bei Weihnachtswünschen. Immer, wenn sie mich gefragt hat, habe ich gesagt 'einen handgestrickten Pullover mit HSV-Emblem' und mich dann überraschen lassen, was für ein Muster der Pullover am Ende wohl haben wird.“

„Wußtest du, dass HSV-Pullover bei Rechtsextremen sehr beliebt sind?“
„Ja? Wieso das?“
„Weil man da nicht immer aufpassen muss, das Logo spiegelverkehrt aufzumalen.“
„Nach der Theorie müssten Nazis auch Davidsterne klasse finden.“
„Man merkt, dass Du überhaupt keine Ahnung hast, aber lassen wir das. Die meisten Menschen haben ja auch keine Ahnung von Weihnachten und feiern es trotzdem.“
„Die Juden feiern Weihnachten?“
„Nein, die glauben nicht an Jesus.“
„Warum haben sie den denn dann ermordet?“
„Meine Güte, woher hast Du denn Dein Wissen über Religion?“
„Konfirmantenunterricht. Und beim Kinderkrippenspiel war ich mal der Negerkönig.“
„Wenn Du nicht eh schon so dagegen wärst, müsste man Dich spätestens jetzt exkommuzieren und Dir verbieten, Weihnachten zu feiern.“

„Das wäre nur konsequent. Weihnachten ist ja ohnehin das diskriminierendste Fest überhaupt.“
„Na so viele Juden und Muslime gibt es ja nun in Deutschland auch wieder nicht.“
„Es sind ja nicht nur die. Du vergisst die ganzen Hartz IV-Empfänger, die sich Weihnachten nicht leisten können, weil sie kein Weihnachtsgeld kriegen, die Atheisten und anderen Religionen, die Verkäufer und die Müllabfuhr, die Überstunden machen müssen und die Alleinstehenden, die zuhause sitzen und merken, wie einsam sie sind.“
„Naja, wenigstens haben dann aber alle ein paar Tage frei.“
„Achja, das widerum grenzt dann noch arbeitslose Schriftsteller und Rentner aus.“, sage ich. „Aber ich habe eine Idee für unseren nächsten Wettbewerb: Wer gewinnt, darf dieses Jahr nicht Weihnachten feiern.“. Ich ersetze die Liste am Kühlschrank, durch eine Liste der einschlägigen Weihnachtslieder.
„Komm Junge, sieh es ein. Weihnachten wird Dir auch dieses Jahr nicht erspart bleiben.“, sagt Oma und macht den ersten Strich auf der Liste, während passend dazu 'Last Christmas' im Radio angespielt wird.



Eine Version dieses Textes ist erschienen in*:
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