Satire über die alltägliche Diskriminierung von allen.

Mann über Bord


Neulich saß ich mit meiner Oma am Frühstückstisch. Eigentlich ist es gar nicht meine Oma, aber letztlich macht das ja auch keinen Unterschied und in meinem Alter kann ich ja auch nicht mehr zuhause bei meiner Mutter wohnen.

Oma häkelt verboten aussehende Topflappen, während ich die Morgenzeitung lese.
„Das ist doch wirklich einfach nur Menschen verachtend“, sage ich wütend und knalle die Zeitung auf den Tisch. Ein normaler Mensch hätte jetzt gefragt, was denn Schreckliches passiert sei, aber Oma hat in ihrem Leben schon genug Schreckliches und Menschen verachtendes gesehen, als dass sie da noch nachfragen würde.

„Hier“, sage ich darum und klopfe mit dem Zeigefinger auf einen Artikel: „'Die Milizen fielen in der Nacht in die Stadt ein und erschossen etwa hundert Bewohner auf offener Straße, darunter zahlreiche Frauen und Kinder.'“
„Gestern Nacht? Ich habe ja gar keine Schüsse gehört.“
„Nein, nicht bei uns. In irgendeiner Stadt in Afrika halt.“
„Ach so, da muss man sich dann doch nicht gleich so aufregen.“
„Mache ich ja auch gar nicht. Aber mich regt das auf, wenn sie jedesmal schreiben 'darunter zahlreiche Frauen und Kinder'.“
„Vermutlich waren darunter eben zahlreiche Frauen und Kinder, wenn sie das so schreiben.“

„Ja, aber so wie sie das schreiben, klingt das immer, als wäre es nicht weiter erwähnenswert, wenn die Männer erschossen werden. Das 'darunter' klingt so als ob Frauen etwas Besseres wären.“
„Sind sie doch auch“, sagt Oma, „da brauchst du ja zum Beispiel nur mal an den Geschlechtsakt zu denken.“
„Das ist doch kein Argument. Das hat doch anatomische Ursachen.“
„Vielleicht wollten die Schreiber ja auch die Leistung der Schützen hervorheben. Frauen und Kinder sind schließlich viel schwerer zu treffen. Das hat auch anatomische Ursachen.“

„Du lenkst ja wieder völlig vom Thema ab. Was ich sagen will ist, dass so ein friedliebender Krankenpfleger bestimmt nicht erfreut wäre, wenn er erfährt, dass sein Tod nur eine unwichtige Randnotiz ist, nur weil außerdem auch Frauen und Kinder erschossen wurden.“
„Ich denke, er wird es nicht erfahren.“
„Aber es klingt trotzdem so, als ob er ein akzeptables Opfer wäre, nur weil er ein Mann ist.“
„Ist doch auch so“, sagt Oma, „darum heißt es in der Seefahrt ja auch immer: Frauen und Kinder zuerst.“
„Aber doch nur, weil die Männer ritterliche Helden sind.“
„Noch ein Grund, weshalb Männer verzichtbar sind.“
„Weil sie Helden sind?“
„Nein, weil sie jeden Unsinn glauben, den man ihnen erzählt.“

„Du findest es also richtig, dass sie 'darunter' schreiben und damit Männer zu Menschen zweiter Klasse machen?“
„Aber klar.“, sagt Oma, die inzwischen weiter in meiner Zeitung geblättert hat. „Zum Beispiel hier: 'Beim Untergang des riesigen Containerschiffs starben 15 Seeleute, darunter der dänische Kapitän'.
Die anderen 14 werden halt irgendwelche Afrikaner gewesen sein und die 100 Japaner, die in den Containern saßen, um illegal ins Land zu kommen, sind gar nicht erst erwähnt.“
„Japaner fliehen normalerweise nicht in Containern.“
„Dann halt Vietnamesen. Die sehen eh alle gleich aus. Letztlich ist das ganz egal, weil das alles Unter-'Darunter'-Menschen sind, die niemanden wirklich interessieren. Wieso sollte man da also unnötig drüber schreiben?“

„Aber Männer sind doch keine Unter-'Darunter'-Menschen. Ohne Männer würde doch alles zusammenbrechen und nichts funktionieren: Wir Männer sind Frauen und Kindern in fast allen Belangen überlegen.“
„Das glauben alle von sich. Ganz besonders die Dummen.“, sagt Oma,
  „Komm Junge, wir wollten doch noch in den Park und bei den Japanern Zigaretten kaufen.“



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