Wo moderne Mütter noch mitten im Leben stehen

In der Korova Milchbar


Neulich war ich mit meiner Oma in einem Latte macchiato-Café. Eigentlich gehen wir gar nicht in so ein Café, aber es hatte plötzlich angefangen, sintflutartig zu regnen.

Ein Latte macchiato-Café ist ein verruchter Ort, den man als normaler Mensch besser meiden sollte, denn in so einen Laden kommen Eltern nur in Begleitung ihrer Kinder und so trifft man hier hauptsächlich junge Mütter - die meisten davon mitte Dreißig. Man muss also schon ganz schön verzweifelt sein, um hierher zu kommen und das Gesprächsniveau bewegt sich irgendwo zwischen 'How I met your mother' und 'Desperate Housewifes'.

"Die Michaela will ja jetzt auch so gerne ein Baby.", sagt die eine Mutter am Nebentisch.
"Wenn die wirklich schwanger wird, dann glaube ich aber wieder an die unbefleckte Empfängnis.", sagt die Zweite und beide lachen.
"Seitdem wir den Kleinen haben, ist bei uns zuhause gar nichts mehr unbefleckt.", kichert die Erste.
"Das kenne ich.", kichert die Zweite. "Das beste Mittel gegen Flecken sind graue Pullover und weiße Bettlaken. Modisch ist das natürlich eine Katastrophe, aber was tut man nicht alles."
"Dada dadada", sagt das Kind der ersten Frau.
"Und dann auch noch das.", seufzt die erste Frau. "Dafür habe ich doch nicht Abitur gemacht und sieben Semester Germanistik studiert, um jetzt dieses Gebrabbel zu ertragen."

"Der ist aber niedlich.", sage ich. "Ist das Ihr Kind?", frage ich mit vielleicht etwas viel Zweifel in der Stimme. Die Frau schaut mich an, als wollte ich es ihr wegnehmen, und ich überlege kurz, ob das meine Pflicht wäre. Aber dann setzen die beiden Frauen ihre Unterhaltung deutlich leiser fort.

"... und der Jonah geht jetzt dreimal die Woche zum Kinderturnen.", sagt dafür eine Mutter am anderen Nebentisch.
"Oh, das ist aber schön.", sagt die zweite.
"Und vor zwei Tagen hat er sich schon fast alleine auf den Bauch gedreht."
"Oh, das ist aber schön."
"Wenn er so weiter macht, können wir nächsten Monat schon zum Babyschwimmen."

"Oh, das ist aber schön.", sage ich zur Kellnerin, die sich endlich mal blicken lässt.
"Haben Sie schon ein Wunsch?", fragt die Kellnerin.
"Ich hätte gerne einen Moloko Plus."
"Das haben wir nicht."
"Nicht? Dann nehme ich ein Bier."
"Das haben wir auch nicht."
"Was haben Sie denn?"
"KaffeeLattemacchiatoCappucinoMoccacinoChaiLatteEspressoFrüchteteeundWarmeLatte."
"Dann nehme ich das."
"Warme Latte?"
"Nein. Das nicht."
"Was denn nun?"
"Das erste."
"Also Kaffee?"
"Ja, schwarz. Zweimal. Und gleich zahlen."
"Sieben Zwanzig", gibt die Kellnerin prompt zurück.
"Was? Ein Kaffee bei Ihnen kostet drei Euro sechzig? Dafür kriegt man in meiner Stammkneipe drei große Pils."

Die Kellnerin guckt mich missbilligend an und die Frauen am Nebentisch unterstützen sie dabei. Als rational denkender Mann ist man hier so willkommen wie ein Nicht-Kastrat im Harem oder im Kirchenchor. Vom ersten Nebentisch höre ich etwas von "lieber Arbeiten gehen".
"Als ob Sie etwas verstünden vom 'Arbeiten gehen'.", gebe ich zurück. "Sie haben doch sieben Semester lang einen Studienplatz blockiert, bis Sie endlich mal jemanden gefunden haben, der Sie flachgelegt hat."
"Aber das ist doch ..."
"Und jetzt führen Sie übergangslos ein erfolgreiches Familienunternehmen. Oder nennt man das jetzt 'offspring relation management' mit Schwerpunkt 'product safety' und 'comfort coordination'? Und dann sitzen Sie hier den ganzen Tag und trinken Kaffee für drei Euro sechzig, während zuhause eine Putzfrau für das gleiche Geld Ihre Wohnung sauber macht."

"Ruhig, Junge.", sagt Oma und verhindert ärgerlicherweise, dass die Lage eskaliert. "Du hast ja völlig veraltete Vorstellungen von der Rolle der Frau."
"Das will ich meinen", sagt die Frau vom Nebentisch.
"Früher gab es für eine Frau nur Kinder, Küche, Kirche. Aber heute ist das Problem, dass sich eine Frau entscheiden darf, ob sie eine gute Mutter sein will oder eine Karriere machen."
"Wieso Problem? Sie kann doch einfach beides machen."
"Das ist nett, dass Sie sich als Beispiel andienen wollen. Aber das wäre gar nicht nötig gewesen. Wissen Sie, wenn sich die jungen Dinger heutezutage entscheiden könnten und nicht immer beides wollten, dann gäbe es keine Knabbermischungen, keine merci-Schokolade und kein Zalando. Da bleibt am Ende auch immer die Hälfte liegen oder wird zurückgeschickt."
"Es gibt eine Menge Frauen, die eine erfolgreiche Karriere machen und trotzdem gute Mütter sind."
"Ach ja?"
"Ja. Zum Beispiel ...", überlegt die Frau. "Ist ja auch egal – man kann die ja schließlich auch nicht alle kennen."
"Naja, und vor allem ist es auch schwer, Dinge aufzuzählen, die es nicht gibt", gibt Oma zu. "Aber dafür gibt es haufenweise Latte macchiato-Mütter, die zumindest vorgeben wollen, eine Karriere oder irgendeine gesellschaftliche Relevanz zu haben. Da brauchen Sie sich hier ja bloß mal umzuschauen. Und dann gibt es natürlich noch die Karrierefrau, die vorgibt, eine gute Hausfrau und Mutter sein. Die nennt man dann Ursula von der Leyen."
"Das muss ich mir nicht anhören", sagt die Frau und winkt nach der Kellnerin. Und die anderen Frauen tun es ihr gleich.

"Hat mich sehr gefreut.", sagt Oma zum Abschied. "Und versuchen Sie doch einfach beim nächsten Mal, Ihre Kinderwagen so zu parken, dass sie nicht den ganzen Bürgersteig versperren. Auch wenn jeder fast so viel kostet wie ein Kleinwagen, aber die dürfen ja auch nicht auf den Bürgersteig. Sie könnten natürlich auch über einen Kinderwagen-Chauffeur nachdenken, aber ein paar soft skills zu erwerben kann ja auch nicht schaden, selbst wenn man leider keine Karriere mehr vor sich hat.

    Komm Junge, wir gehen. Ich glaube, es hat wieder aufgehört zu regnen."

    "Sag mal, Oma. Nur so aus Neugier.", frage ich sie, als wir wieder auf der Straße stehen. "Hast Du eigentlich Kinder?"



Eine Version dieses Textes ist erschienen in*:
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