Im Leben geht es nicht immer gerecht zu, man muss nur sehen, auf welcher Seite man steht. Eine sozialkritische Satire.

Nasty


Die Welt dreht sich. Und das ist das erste, was ich wahrnehme, wenn ich aufwache. Die Welt dreht sich und mir ist schlecht. Scheiße, wo bin ich? Neben dem Bett liegt eine leere Flasche Tequila und ausgelutschte Zitronenscheiben, die wie kleine Gummientchen in etwas schwimmen, was wie Chilli con Carne aussieht, aber nicht ganz so gut riecht. Ich tippe auf Mexiko. Muss dann aber leider feststellen, dass ich zuhause bin.

Mein Zuhause ist nicht schön, aber billig und über dem Schimmelfleck an der Wand hängt ein Poster von Jeanne D'Arc. Schwarzweiß mit Parolen in knallroten Buchstaben. “Erhebt Euch”. - Ich stehe auf - und denke mir, die Revolution ist auch nicht mehr das, was sie mal war. Doch schon bald wird mein Zuhause zum Obergeschoß einer Maisonettewohnung. Das nennt man luxussaniert und da kann man auf mich keine Rücksicht nehmen. Ich bin zwar zuerst dagewesen, aber das waren die Indianer schließlich auch. Jeder nimmt sich eben, was er kriegen kann. Nicht, dass mich jemand falsch versteht, ich will die Welt nicht besser machen, ich will nur meinen Anteil. Ich bin einfach nur ein schlechter Verlierer. Kein Wunder, dass ich ein Arschloch bin.

Und darum mach' ich, was ich will, auch wenn das keiner versteht
Ich trinke Eistee aus Dosen, weil da “Nestea” draufsteht.
Ich nehme, was ich kriege, einfach nur weil es geht
und was ich will, das will ich heute, denn sonst ist es zu spät.

Und wenn es zu spät ist, dann ist es zu spät. Und dann ist auf der anderen Seite des Spiegels kein Wunderland, sondern man steht bloß davor und wünscht sich, dass Blicke töten könnten.

Als ich zwölf war, stand auf meiner Federmappe “No Future” - und in meinem Zeugnis stand das auch. Und so stehe ich noch heute jeden Morgen auf dem Schulhof – und verkaufe Drogen. Am liebsten an die Lehrer, denn die fragen nicht ständig, warum es denn Drogenerfahrung heißt, wenn man sich doch hinterher an gar nichts mehr erinnern kann. Wenn jemand sagt: “Du kannst es schaffen, egal, ob deine Eltern arm oder reich sind.”, dann ist das nur die halbe Wahrheit.

Und ich hab' auch schon mal gelogen, und die Wahrheit verdreht
denn in Wahrheit trink' ich Eistee aus dem Tetrapaket.
Ich hab den Zug verpasst, weil der nicht mehr stündlich geht
und nun sitz ich in dem Zug, der auf dem Nebengleis steht.

Und dann halte ich das Warten nicht mehr aus. Ich habe mich nie gefragt, ob das Glas halbvoll oder halbleer ist, sondern es einfach ausgetrunken. Aber irgendwann kommt auch Alkohol an seine Grenzen. Denn die einen stehen im Dunkeln und die anderen im Licht. Und das Licht vertreibt die Schatten nicht, sondern es erzeugt sie. Aber vielleicht wissen die im Licht das ja gar nicht.

Also fahre ich einfach mal hin, um ihnen das zu sagen, doch der Mann am Tor sagt, das wäre hier nur für geladene Gäste. Ich sage: “Ich bin nicht geladen. Aber meine Waffe schon” und sein Mund formt sich zu einem “Ü” wie “Überraschung”. Und ich sage: “Hört her! Ich brauch auch mal etwas Geld, die ganz großen Scheine, denn Kleingeld macht einen so un-schein-bar.” Und in dem Moment, wo ich ihr Geld nehme, habe ich bereits vergessen, was ich ihnen eigentlich sagen wollte.

Stattdessen kaufe ich mir ein Boot und das nenne ich “Platzda” und fahre damit über das Meer. Und dort treffe ich Jesus. Ich bin froh, dass es Jesus ist, weil er barfuß übers Wasser geht und nicht Mose der Stümper, der gleich das ganze Meer geteilt hätte. Und er sagt: “Folge mir, und du wirst frei sein.” - “Warum das?” - ”Weil mir Millionen andere auf der Welt auch folgen.” - und ich sehe vor meinem geistigen Auge Lady Gaga, wie sie mit dem Opussum Heidi übers Wasser geht, und all die Millionen Menschen bei Facebook, die ihnen folgen.

Und ich rede mit dem Heiland, der über alles geht
Hör Musik aus der Konserve, weil da “Gaga” draufsteht.
Bin der Käpt'n auf nem Boot, das wohl schon bald untergeht
Und ich hol aus der Kombüse, die schon voll Wasser steht,

eine Flasche.

Und ich sage zu Jesus: “Weißt du, ich wollte Erlösung immer schon zu Lebzeiten, doch was nützt einem ein Erste-Klasse-Ticket, wenn man auf der Titanic fährt?” und ich hole die Flasche aus der Tasche. “Sag mal, Jesus, kannst du eigentlich auch dann noch übers Wasser gehen, wenn da jemand Spüli reingießt?”

Und dann leere ich die Flasche. Nicht weil ich es will, sondern weil ich es kann. Denn ich bin ein Arschloch. Und ich frage nicht um Erlaubnis, sondern hinterher vielleicht irgendwann einmal um Vergebung.



Eine Version dieses Textes ist erschienen in*:
- Torsten Wolff: "Würde ist ein Konjunktiv" beim Blaulicht-Verlag

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