Das eigentliche Leben eines Poetry Slammers findet nicht auf, sondern hinter der Bühne statt.

Hinter Festivalbühnen


Bei den meisten Poetry Slams sitzt der Großteil der Akteure an einem eigenen Tisch, auf der Bühne oder es gibt gar einen Backstagebereich, in den die Poeten bereits bei ihrer Ankunft entschwinden und aus dem sie erst zu ihrem Auftritt wieder hervorkommen. Doch, was machen die Helden der Bühne da eigentlich, wenn sie unter sich sind?

Nun, sie saufen. Wenn sie dürfen, rauchen sie. Und sie reden über Gott und die Welt. Wobei das Gottvertrauen meist gering ist und die Welt einen überschaubaren Horizont hat. Es gibt Poeten, die sich kennen und andere, die es nicht tun. Also begrüßt man sich oder fragt, wo man herkommt. Wieso man sich schon so lange nicht gesehen hat oder, wo man sich doch bereits getroffen haben könnte. Kommt das Thema dabei auf andere Poetry Slams, so wird gewürdigt, wie gut oder erbarmungswürdig dort das Auftreten ist. Eine kurze Bemerkung wird zur Anreise gemacht, die allerdings immer grauenhaft gewesen ist. Poeten, die das erste Mal an diesem Ort sind, kümmern sich um das Organisatorische: Wie denn genau der Ablauf ist und wo man die Freigetränke bekommt.

Für einige beginnt dann die schwere Entscheidung der Geschichtenwahl für den Abend. Häufige Gäste versuchen sich zu entsinnen, welche Geschichte sie hier denn noch nicht vorgetragen haben könnten. Hin und wieder gibt es arme Seelen, die nun feststellen, ihre Geschichten zuhause vergessen zu haben und verzweifelt versuchen, sie sich auf einem alten Stück Papier wieder zusammenzureimen. Und es gibt selbstzufriedene Naturen, die nun ostentativ ihre umfangreiche Textsammlung durchblättern, auf der Suche nach einer Geschichte, auf die sie „heute mal wieder Lust“ haben. Hinzu kommen Einwürfe anderer Kollegen, die jemanden bitten, eine Geschichte unbedingt noch einmal zu erzählen, weil sie so gut war. Oder auf keinen Fall zu erzählen, weil sie zu gut war. Alternativ, weil man diese Geschichte schon bei den letzten zwölf gemeinsamen Auftritten der letzten Wochen gehört hat und einfach nicht mehr hören kann.

Nachdem die Reihenfolge der Auftritte bekannt gegeben ist, wird die Möglichkeit genutzt, sein Glück zu preisen oder sein Pech zu verfluchen. Dabei wird meist eine Kette des Unglücks deutlich, die sich, einer Verschwörung gleich, über die letzten zehn Auftritte erstreckt. Dann geht die Diskussion zur allgemeinen Fragestellung über, welche Startplätze eigentlich gut sind. Definitiv sind die ersten beiden schlecht, da das Publikum noch nicht warm und die Jury noch vorsichtig ist. Das gibt aber reichlich Gelegenheit, nochmals herauszustellen, wer denn wann und wo trotzdem mit dem ersten Startplatz einen Slam gewonnen hat oder gerade wegen dieses Startplatzes ausgeschieden ist.

Erst nachdem die ersten Auftritte gelaufen sind, macht es Sinn, sich über das Publikum auszulassen. Dieses ist entweder „super“ oder „scheiße“. Wobei im Anschluss die Slams erwähnt werden, wo das Publikum den gleichen Ruf hat wie an diesem Abend. Gelegentlich berichten nette Poeten, die bereits aufgetreten sind, wo denn die hübschesten Frauen sitzen. Wer genug Ehrgeiz hat, kann nun beginnen, seine Chancen für einen netten Abend oder für den Einzug ins Finale einzuschätzen. Gute Geschichten, sofern sie zum Dichterzirkel vorgedrungen sind, erhalten ein anerkennendes Lob, schlechtere werden nicht weiter kommentiert.

Am Ende des Abends wird ein kurzes Resümee über einzelne Auftritte und die Veranstaltung als Ganzes gezogen. Es wird geschaut, ob es irgendwo noch Getränke zu ergattern gibt. Die ersten Planungen der Heimreise oder Übernachtung werden gemacht. Neue Freundschaften werden besiegelt, vielleicht verbunden mit der Einladung zu einem anderen Slam. Nach und nach verlassen die Poeten die heiligen Hallen und freuen sich auf ein Wiedersehen beim nächsten Mal.

Natürlich ist diese Darstellung vollkommen überzeichnet, wenn doch auch einiges Wahres dahinter steckt. Letztlich sind Poeten irgendwo Menschen wie Du und ich. Und den typischen Poeten gibt es natürlich ohnehin nicht.



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