Lesebühnen sind im Prinzip wie Poetry Slams - nur ohne Wettbewerb.

Lesebühnen


Bislang hatte ich den Poetry Slam als Kontrapunkt zu langweiligen „Wasserglaslesungen“ dargeboten bekommen. Auf einer solchen Lesung erwartet man einen geladenen Autor, der unermüdlich endlose Passagen aus seinem neuesten Werk einem ebenso unermüdlichen, meist älteren Publikum vorträgt. Ein Poetry Slam dagegen war abwechslungsreich, die Geschichten kurz und auf den Punkt gebracht, das Publikum zumeist jung und begeisterungsfähig und jeder konnte Poet sein.

Wo es Kontrapunkte gibt, gibt es auch Zwischenraum. Und wieder musste ich mich verirren, um das zu erfahren. Auf der erfolglosen Suche nach einem neuen Poetry Slam landete ich am Ende bei einer Lesebühne. Immerhin was mit Dichtung und mehreren Autoren, das konnte also so schlimm nicht werden und wenn doch, hatte ich es nicht weit bis nach Hause. Doch die Lesebühne war abwechslungsreich, die Geschichten kurz und auf den Punkt gebracht, das Publikum zumeist jung und begeisterungsfähig. Und bei dieser Lesebühne konnte jeder Poet sein. Das nannte sich offenes Mikrophon und gab es bei vielen Lesebühnen.

Das mit dem offenen Mikrophon wusste ich an meinem ersten Abend allerdings noch nicht. Doch ich hatte einen neuen Text dabei und da eine Lesebühne ebenso wie ein Poetry Slam nicht pünktlich anfängt, saß ich unbefangen in der dritten Reihe und überarbeitete ihn. Und als dann nach Kandidaten für das offene Mikrophon gefragt wurde, wurde ich von einer Frau hinter mir angesprochen: „Na los, melde Dich schon. Du willst doch vortragen, schließlich sitzt Du hier schon die ganze Zeit mit Deinem Text“. So hatte ich mich quasi selbst aufgestellt. Ich konnte den Text auf der Bühne kaum entziffern, wegen der ganzen Anmerkungen und weil auf dem schlecht gedruckten Text die Rückseite des Blatts deutlicher zu lesen war als die Vorderseite. Der Erfolg war darum auch eher mittelmäßig, doch ich hatte fortan einen neuen Ort gefunden, auf dem ich regelmäßig auftreten konnte.

Mit der Zeit wurde die Lesebühne ein sehr entspannter und schöner Auftrittsort und als einigermaßen regelmäßiger Gast lernte ich die Mitglieder bald besser kennen. Tatsächlich kam mir die Veranstaltungsform entgegen, da der Schwerpunkt mehr auf den Texten als auf der Performance lag und so bin immer wieder gerne Gast bei einer der zahlreichen Lesebühnen und natürlich insbesondere bei meiner ersten, meiner Lieblingslesebühne.

Letztendlich aber sind die Grenzen zwischen Poetry Slams und Lesebühnen fließend. Viele Teilnehmer einer Lesebühne slammen zumindest gelegentlich und umgekehrt sind viele Slammer Mitglieder einer Lesebühne. Von der Art und der Qualität der Geschichten gibt es ebenfalls große Überschneidungen und die meisten Geschichten passen zu beiden Formaten. Und nicht zuletzt wurde die Teamwertung der deutschsprachigen Poetry Slam Meisterschaft 2008 von einer Lesebühne gewonnen.

Eine Version dieses Textes ist erschienen in*:
- Torsten Wolff: "Slampoet" (E-Book)

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