Ein kurzer Entwurf für die erfol­greiche Lebens­planung des eigenen Kinds

Ich habe einen Text über meinen Sohn geschrieben. Ich habe zwar noch keinen Sohn, aber wenn es so weit ist, dann will ich vorbereitet sein. Der Text heißt deshalb auch:

Mein Sohn

"Mein Gott, es ist ein Alien" rufe ich und springe auf. Die anderen Gäste im Cafe schauen entsetzt zu uns herüber. Wütend reißt Anna mir das Ultraschallbild aus der Hand: "Unser Kind ist kein Alien. Alle Kinder sehen so aus." - "Schade.", sage ich enttäuscht. Mit dem Riesenkopf wäre es sicher das schlaueste Kind auf dem Planeten geworden. Aber Anna bringt sich beim Kinderkriegen einfach nicht genug ein. Allein, dass sie immer "unser Kind" sagt, als wäre es ein sozialistisch gezeugtes Gemeinschaftsprodukt. Aber ich bin mir sicher, es ist "mein Sohn".

"Mein Sohn" sage ich zärtlich, als ich das nächste Bild mit einer Lupe untersuche und mir fast etwas pädophil dabei vorkomme. "Da kann man jetzt noch gar nichts sehen.", faucht Anna. "Schade.", sage ich wieder, "Wozu macht man denn Ultraschallbilder, wenn darauf die wichtigsten Körperteile nicht richtig zu sehen sind? Was, wenn es jetzt nur ein Mädchen ist?" - "Jetzt komm' mal wieder runter.", sagt Anna und nimmt mir auch die restlichen Bilder weg, "Das wird sich alles zeigen." - "Stimmt", sage ich, "und zur Not kann man sie ja immer noch umoperieren lassen."

Ich habe nicht prinzipiell etwas gegen Mädchen, ich hab ja schließlich auch Anna. Aber Mädchen sind halt einfach die schlechteren Menschen. Und mein Kind soll es zu etwas bringen. Wenn ich wollte, dass es später im Leben diskriminiert wird, hätte ich auch einfach ein Kind aus einem Dritte-Welt-Land adoptieren können. Außerdem sollte mein Sohn "Torsten" heißen. Und als Zweitnamen "Thorsten" mit "th", damit nicht jeder Depp seinen Namen falsch schreibt. Anna fand das nicht gut. Ein Torsten reicht ihr, hat sie gesagt. Ich vermute, sie meinte das aus organisatorischen Gründen.

Was sie denn für einen Namen gut finden würde. "Paul", hat sie gesagt, "Oder Erwin. Weißt du, mein Opa Erwin hieß ja auch Erwin und diese alten Namen sind total im kommen." - "Sicher sind sie das. Wenn man hört, wie sich die Kinder im Sandkasten mit Namen rufen, dann klingt das wie im Schützengraben vor Verdun." - "Dann was Ausländisches", sagte sie. "Oh ja,", sagte ich begeistert, "das wäre echt krass individuell. Wie wäre es mit Adebayo oder Ibrahim?" Anna seufzte und ich lenkte ein: "Komm", sagte ich, "wir geben ihm einfach alle Namen, die ich gut finde." Ich hatte schon eine Liste gemacht von "Adolf" bis "Zaratustra". Mein Sohn kriegt mehr Namen als Guttenberg aus dem Internet kopieren kann und bestimmt ist da auch ein Name bei, der Anna gefällt. "Jaja", sagte sie und ich wertete das als Zustimmung.

Und ich habe auch schon einen Stundenplan für ihn gemalt mit lustigen Bildern, weil mein Sohn in den ersten Wochen ja noch nicht lesen kann. Es sind zwar extra die vereinfachten Zeichen aus der chinesischen Schrift – trotzdem beherrscht er sie erst, als er schon Zwei ist. Mit Drei schicken wir ihn darum ein Jahr ins Ausland, sowas macht sich später auch besser im Lebenslauf.

Wenn er wiederkommt, spricht er vier Sprachen fließend und kommt in die Grundschule. Natürlich zwei Jahre früher eingeschult. Ich freue mich schon jetzt auf die ersten Elternabende, wenn ich den anderen Eltern sagen kann, wie scheiße ihre Kinder sind, aber dass das nicht schlimm ist, denn irgendwer muss ja später auch die Drecksarbeit machen. Mein Sohn hat schon als Kind keine Freunde. Trotzdem muss man auch Fallobst zum Champion aufbauen, sonst ist der eigene Sieg weniger wert. Am Tag der offenen Tür lobe ich darum das erstbeste Kind für sein Bild: "Oh, wie schön", sage ich, "eine Kuh, die kotzt". Doch das Kind fängt an zu weinen: "Das ist ein Drache, der Feuer speit." Und dann lachen mein Sohn und ich das andere Kind aus.

Bis schließlich seine Mutter kommt und sagt, dass mein Sohn nur ein paar Striche gemalt hat, obwohl alle ein Haus malen sollten. "Das sind chinesische Zeichen für 'Haus, das ich in der Schule malen musste' - Fotze". Zu den nächsten Elternabenden gehe ich gar nicht mehr selber hin, sondern schicke gleich meinen Anwalt. Dadurch werden seine Noten noch viel besser und mein Sohn darf ständig Klassen überspringen - meist auf ausdrücklichen Wunsch der Lehrer.

Mit sechs hat mein Sohn sein Abitur: mit 0,6er Schnitt und in G -4. Der Weg zur Uni ist zwar trotzdem weit, aber mein Sohn läuft zum Glück Marathon. Andere Kinder in seinem Alter laufen Laterne - oder Amok. Wenn er neun ist, wird er die wichtigsten Uniabschlüsse in der Tasche haben und kann sein Leben selbst in die Hand nehmen. Aber bis dahin werde für ihn da sein. Mein Sohn kann kommen – er wird es gut haben.

Eine Version dieses Textes ist erschienen in*:
- Anthologie: " Last Exit Babyklappe" beim Satyr-Verlag

* Die Buchtitel sind jeweils Amazon-Partnerlinks