Eine humorvolle Abrechnung mit Facebook und dem sogenannten social life

In your face, book


Vielleicht wäre es besser gewesen, die Freundschaftsanfrage einfach unbeantwortet zu lassen. Mein Facebook-Account kam seit drei Jahren recht gut ohne Freunde aus und auch Axel Müller hatte ich seit unserer gemeinsamen Schulzeit nicht wirklich vermisst. Dass er mich gefunden hat, war ohnehin ein Wunder, da ich bei der Eingabe meines Namens versehentlich gleich zwei Tippfehler gemacht hatte. Andererseits hat er mich vermutlich genau deshalb gefunden, denn Axel ist Legastheniker.

Zum Glück habe ich für alle Anwendungen, die mir so wichtig sind wie Facebook, ein Passwort, das ich nicht vergessen konnte und das hieß "Passwort". Als ich dann in meinem Account auf "Anfrage akzeptieren" klickte, erschien sofort die Meldung "Axel Müller und Trsten Wloff sind jetzt Freunde". - Naja, das ist jetzt auch etwas übertrieben, dachte ich.
Vermutlich musste ich ihm trotzdem etwas Nettes zur Begrüßung schreiben und ich überlegte, ob er sich freuen würde, wenn ich absichtlich einige Tippfehler einbauen würde - entschied mich aber letztlich für ein kurzes und unverbindliches "Hi".

Während dieser kurzen Zeit hatte ich bereits zwei weitere Anfragen, die um meine Freundschaft buhlten. Das konnte ja heiter werden, denn nun, wo Axel mich entdeckt hatte, waren auch seine Freunde auf mich aufmerksam geworden und seine Freundesliste umfasste 587 Einträge. Ich holte mein Adressbuch aus der Jackentasche und kam auf 18 Freunde. Dabei hatte ich meinen Hausarzt und das Telefonbanking bereits mitgezählt.

In der Zwischenzeit waren drei weitere Facebook-Anfragen hinzugekommen. Ich beschloß, proaktiv zu handeln und schrieb meinerseits Anfragen an alle seine Freunde. Und an die Freunde seiner Freunde. Und die Freunde der Eltern seiner Freunde. Am Abend kamen so locker 1500 Freunde zusammen und am Ende der Woche waren es mehr als 12000. Von da an begann ich mich allerdings zu fragen, was man mit sovielen Freunden anfangen soll und ob mein Facebook-Account überhaupt groß genug ist, dass alle Freunde genug Platz darin haben.

Platz schien jedoch kein Problem zu sein, denn auf meiner Hauptseite sammelten sich die Nachrichten, was meine Freunde gerade so taten. Ich stellte fest, dass viele meiner Freunde in der Mafia waren oder auf einem Bauernhof arbeiteten. Die anderen schrieben Nachrichten, ob sie gerade auf Klo waren oder dass sie gestern abend nicht auf dem Klo, sondern in der Disko gewesen sind. Viele stellten außerdem Bilder online. Ich beschloß, auch ein Foto online zu stellen und wählte ein Bild von mir und meiner Freundin beim letzten Urlaub. Schließlich muss man ja zeigen, was man hat, und außerdem wollte ich ein Foto, wo jemand glücklich drauf aussieht.

Gebannt wartete ich auf die Reaktion meiner Freunde und schon bald schrieb >Igor_$ in gebrochenem Englisch, dass er meine Freundin hübsch findet und ob er sie kennen lernen könnte. Ich fand das zwar ziemlich frech, aber immerhin war Igor ja mein Freund. Darum fragte ich sie, was sie davon hält und sie sagte, das ginge in Ordnung, weil ich ja eh nur den ganzen Tag am Computer sitzen würde. Also schickte ich ihm ihre email-Adresse. Nur so zur Sicherheit, begann ich aber bei allen meiner Mafia-Freunde jeden Beitrag mit dem "I like"-Button zu bewerten.

Mit dem "I like"-Button konnte man alle Beiträge bewerten und sagen, dass man sie toll findet. Anscheinend durfte man ihn aber auch benutzen, wenn man etwas nur mitteltoll fand, denn die meisten Einträge wurden gemocht. "Habe heute morgen ein Eichhörnchen oder so gesehen! Mitten in der Stadt! Unglaublich oder?" - "92 Leute mögen das". "Asylbewerber vor Ausländerheim erstochen" - "2685 Leute mögen das". Nach einer Weile gewöhnt man sich daran und vermisst nicht einmal mehr das Fehlen eines "Dislike"-Buttons.
Doch der tollste Coup war der Kauf von "I like"-Aufklebern, die ich künftig überall hinklebte. "I like Bushaltestelle", "I like Fernseher", "I like Toastbrot". Das bekam sogar drei Aufkleber, denn Toastbrot mochte ich wirklich. Sogar das ukrainische Wörterbuch, das sich meine Freundin gekauft hatte, mochte ich. Leider hatte ich für sie dann keinen Aufkleber mehr über, weil ich nur 500 gekauft hatte.

Und eines Tages war sie dann verschwunden und hinterließ nur einen Abschiedsbrief auf kyrillisch. Ich wußte trotzdem, dass es ein Abschiedsbrief war, denn sie hatte unser Urlaubsfoto dazugelegt und mein Kopf war durchgestrichen. "Meine Freundin hat mich verlassen.", schrieb ich sofort auf meine Facebookseite - 126 Leute mochten das.
Einer erinnerte mich, den Beziehungsstatus auf meiner Profilseite zu ändern. Ein anderer schickte den Link von einer Beziehungsapp: Unsere Namen hätten eh nur zu 34% zueinander gepasst. Selbst als ich meinen Namen korrekt eingab, wurde es nur unwesentlich besser. Aber "Toastbrot" und "Nutella" kamen auch nur auf 28%. Soweit also dazu.

Auch bei den Facebookgruppen "Meine Freundin hat mich wegen einem Ukrainer verlassen" (13 Mitglieder) und "Das Leben ist scheiße" (186,000 Mitglieder) fand ich keine Hilfe und endlich merkte ich, dass Facebook allein nach dem Kiffer-Prinzip funktioniert: "Wer joint ist dein Freund" und alles andere ist egal.
Und darum habe ich meinen Facebook-Account gelöscht. Aber den Namen meiner Freundin in meinem Adressbuch, den habe ich nicht gelöscht. In zwei Tagen fliege ich in die Ukraine - vielleicht ist es ja noch nicht zu spät.



Eine Version dieses Textes ist erschienen in*:
- Torsten Wolff: "Würde ist ein Konjunktiv" beim Blaulicht-Verlag

* Die Buchtitel sind jeweils Amazon-Partnerlinks